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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Autoren: Mina Wolf
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hölzernen Bettrahmen, und mit ein wenig Fantasie konnte man meinen, er trommele mir ein Geburtstagsständchen. Gerührt versprach ich ihm ein besonders leckeres Frühstücksmenü zur Feier des Tages.
    Dann stand ich auf, um einen Blick in den Spiegel zu werfen, der in meinen riesigen Kleiderschrank integriert war. Ich nahm mein Gesicht genau unter die Lupe und ging ganz nah an das Glas heran, um auch ja jede Veränderung katalogisieren zu können. Gut, Falten fand ich noch keine, außer der Knautschzone auf meiner Wange, aber die hatte mein Plüschhase verursacht, als ich versehentlich auf ihm geschlafen hatte. Zum Glück würde diese Spur vermutlich in wenigen Minuten wieder restlos verschwunden sein. Was fiel mir noch auf? Ich musste zum Friseur, mal wieder die Spitzen schneiden lassen. Aber das hatte wohl nichts mit dem Alter zu tun – Spliss konnte jeder haben. Und was sah ich noch? Ich drehte und wendete mich, ohne den Blick von meinem Spiegelbild zu lösen. Meine Figur war schlank wie eh und je, ein bisschen mehr Busen und Po wären schön gewesen, aber sonst konnte ich nicht klagen. Ich entdeckte weder graue Haare noch verlor ich die ersten Zähne oder litt an spontaner Blasenschwäche. Gut, 23 schien also ein akzeptables Alter zu sein. Zufrieden griff ich mir meinen geblümten Kimono und ging, begleitet von Caruso, der meine skeptischen Begutachtungen schwanzwedelnd verfolgt hatte, in die Küche, um uns endlich Frühstück zu machen.
    Während ich meinem Hund unter lautem Geklapper sehr teures (weil sehr biologisches) Trockenfutter in seinen Napf rieseln ließ und hinter mir mein Kaffeevollautomat mit beinahe asthmatischem Prusten und Schnaufen meine Tasse füllte, checkte ich mein Handy nach möglichen SMS-Glückwünschen. Tatsächlich, drei neue Kurzmitteilungen.
    Huhu Vicky! Ich wünsche dir aaaaalles Gute und Liebe zum Purzeltag! Hab dich lieb! Viele Bussis, deine Nina.  
    Die SMS wurde Punkt Mitternacht in meinem Eingang verzeichnet. Auf beste Freundinnen konnte man sich eben verlassen! Die nächste Nachricht war von Stephan.
    Hi, ich wünsch dir alles Gute! Lass knacken! Gruß Stephan.  
    Stephan war ein guter Freund von mir und ein Teil der Clique, die als chaotische Männer-WG im Erdgeschoss, also zwei Etagen unter mir, wohnte. Die Jungs hatten mich heute Nachmittag zu sich eingeladen, um mit mir anzustoßen.
    Die letzte Kurznachricht war von einer Kommilitonin, nämlich Juliane.
    Hey Victoria, hast du schon deine Prüfungsergebnisse?  
    Keine Glückwünsche? Na ja, Juli war schließlich noch nie eine Frau der großen Emotionen gewesen, vielleicht hielt sie Geburtstage für überflüssig und unspektakulär. Aber das musste nicht für mich gelten! Ich war fast ein wenig gekränkt. Und dann erreichte die eigentliche Kernaussage der SMS endlich meinen Verstand – die Prüfungsergebnisse. Verdammt! Die hatte ich total verdrängt!
    Ich griff nach dem dampfenden Becher, nachdem mir meine Kaffeemaschine mit lautem Klappern verkündet hatte, dass sie mit ihrem Job fertig war. Im geblümten Kimono lehnte ich mich an die grüne Anrichte, den heißen Kaffee in meiner Hand, und stierte angsterfüllt ins Nichts. Ich wollte die Ergebnisse meiner Prüfung gar nicht wissen! Und warum? Weil ich nach unzähligen Wiederholungen genau wusste, was auf dem Aushang stehen würde, nämlich die zwei kleinen Worte: Nicht bestanden.
    Klar, Journalistin zu werden, war immer mein Traum gewesen, am liebsten Redakteurin einer wichtigen Zeitung. Recherchieren, Schreiben und Formulieren waren schon immer meine großen Talente gewesen, aber für ein Studium der Kommunikationswissenschaften brauchte es mehr als das. Viel mehr, nämlich Fleiß und Ausdauer – und beides besaß ich nicht. Denn während ich ständig von meiner großen Karriere geträumt hatte, von meinem funkelnden Mercedes, meinem stilvoll eingerichteten Haus und den prominenten Menschen um mich herum, hatte ich das Lernen und den Besuch der Vorlesungen immer weiter in den Hintergrund gestellt. Doch ohne das eine konnte es auch das andere nicht geben – aber bis ich das kapiert hatte, war es schon zu spät gewesen, um das Verpasste nachzuholen. Deshalb hatte ich während dieser einen Prüfung, meiner letzten Chance, richtig geschwitzt, schrecklich gezittert und mir Traubenzucker bis zum Kollaps eingeworfen. Ob das was genutzt hatte? Wohl kaum. Aber ich musste es trotzdem herausfinden.
    Eine kalte Hundeschnauze stupste gegen meinen Handrücken und ich erwachte aus
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