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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Autoren: Mina Wolf
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Im Gegensatz zu mir scheint sie kein bisschen müde zu sein.
    »Frau Schäfer?« Ihre Stimme klingt wie Sandpapier auf einem Stück Holz.
    Ich nicke und trete näher.
    »Ich bin Frau Weiler. Ich soll Sie heute anlernen und Ihnen die Räume zeigen. Kommen Sie.« Sie geht zu den Aufzügen hinüber und drückt einen der leuchtenden Knöpfe. Als die Aufzugtüren lautlos auseinandergleiten, geben sie den Weg frei zu einer vollkommen verspiegelten Kabine. Frau Weiler betritt den Lift und drückt einen weiteren Knopf. Ich folge ihr ehrfürchtig und zucke zusammen, als mir beim Einsteigen mein zerknittertes Spiegelbild entgegenblickt. Erneut muss ich mit den Tränen kämpfen. So hatte ich mir meinen ersten Tag bei Stunning Looks garantiert nicht vorgestellt.
    Nachdem sich die Türen hinter uns geschlossen haben, schießt der Lift plötzlich und viel zu schnell mit uns nach oben. Echte Panik legt sich über meine Enttäuschung, und als sich nach wenigen Sekunden die Türen in einer neuen Etage wieder öffnen, habe ich das Gefühl, mein Gehirn im Erdgeschoss vergessen zu haben. Auch mein Magen scheint noch einige Stockwerke im Rückstand zu liegen, und der Boden unter meinen Füßen fühlt sich an wie Gummi.
    Frau Weiler mustert mich und lacht. »Keine Sorge – an die Geschwindigkeit dieser neumodischen Aufzüge muss man sich erst gewöhnen, das ging uns allen so.«
    Ich nicke und presse meine Lippen aufeinander, um die aufwallende Übelkeit in den Griff zu bekommen. Als ich mich wieder einigermaßen sicher auf den Beinen fühle, folge ich Frau Weiler. Sofort erkennt man, dass man sich in den Räumen eines hippen Frauenmagazins befindet: An den Wänden hinter dem Empfang hängen hochglänzend und akkurat eingerahmt die Cover der vergangenen Ausgaben der Stunning Looks, Autogramme berühmter Models oder Designer, die in der Redaktion zu Besuch waren. Der Gang, durch die mich meine neue Chefin führt, ist schnurgerade, rechts und links gehen immer wieder absolut identische Türen ab, und der Boden ist überall mit königsblauem Teppich ausgelegt. Als Frau Weiler im Vorübergehen die vielen Deckenlampen anschaltet, beginnt der Flur in strahlendem Licht zu glänzen. Ich frage mich insgeheim, wo man hier überhaupt sauber machen soll – alles scheint perfekt zu sein.
    »Die Redaktion macht immer einen sehr aufgeräumten Eindruck, aber lassen Sie sich nicht täuschen, es gibt immer genug zu tun«, sagt Frau Weiler, die scheinbar meine Gedanken erraten hat.
    Ich nicke stumm und stolpere ihr tief beeindruckt hinterher.
    »Dies hier …«, Frau Weiler deutet auf einen Gang zur rechten Seite, »… ist die Moderedaktion. Für die sind Sie nicht zuständig, das übernehmen Kollegen von Ihnen. Das Gleiche gilt für die Beautyredaktion.« Wir passieren eine schwere Glastür und betreten einen neuen Flur. Inzwischen fühle ich mich wie in einem Labyrinth und habe völlig die Orientierung verloren.
    Dann bleibt meine Chefin stehen. »Hier beginnt die Textredaktion, für die Sie jetzt zuständig sind. Die Fenster müssen Sie nicht putzen, dafür wurde eine eigene Firma beauftragt. Ihre Aufgabe ist es, die Böden zu saugen, alle Oberflächen abzuwischen, die Papierkörbe zu leeren und die Blumen zu gießen. So weit klar?« Abwartend sieht sie mich an.
    »Ja, alles klar.« Ich schlucke, als ich bemerke, dass meine Stimme brüchig klingt.
    »Als Nächstes zeige ich Ihnen die Kammer, in der die Reinigungsmittel aufbewahrt werden.« Sie öffnet eine weitere Tür und knipst dahinter ein Licht an. Vor mir türmen sich Flaschen voller Reinigungsmittel, verschiedenste Besen, Kehrschaufeln, Staubsauger, Tücher, Eimer und Wischmopps sowie rollenweise Müllbeutel auf. Dann dreht sich Frau Weiler um und zeigt mir noch die Büroräume, die der Textredaktion angehören.
    »So, jetzt muss ich mich um ein anderes Objekt kümmern. Meinen Sie, Sie kommen nun allein zurecht?«
    »Ich denke schon …«, erwidere ich unsicher und lasse meinen Blick über die vielen Türen wandern.
    »Gut.« Frau Weiler wühlt in einer Tasche ihres Kittels und befördert mit lautem Klimpern einen Schlüsselbund zutage. »Das hier ist der Schlüssel für die schweren Glastüren, welche die einzelnen Redaktionen voneinander trennen. Und dieser Schlüssel öffnet die jeweiligen Büroräume. Der kleine Schlüssel hier ist für die Tür der Putzkammer. Die Drehtür unten im Foyer öffnet sich ab einer bestimmten Uhrzeit automatisch, das heißt, um sie müssen Sie sich keine Gedanken
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