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Kanadische Traeume

Kanadische Traeume

Titel: Kanadische Traeume
Autoren: Quinn Wilder
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schrecklich, wenn ihre Angehörigen sie in irgendein Heim stecken würden. Sie ist glücklich hier, und wenn sie auch nicht viel leistet, ist sie wenigstens harmlos. Wir haben sie alle wahnsinnig gern. Kennt sie nun Matthew Blake? Wie hast du das verstanden?”
    “Ich glaube, du leidest an einer
    Matthew-Blake—
    Besessenheit”, sagte Charity in strengstem Arztton. “Vergiß ihn.”
    “Dickköpfig könnte ja auf ihn passen”, erwog Mandy.
    Könnte? Daß er dickköpfig ist, kann ein Blinder sehen, dachte Charity. Und ein übles Wesen hat er noch dazu.
    “Mrs. Forster hat über dreißig Enkel. Vermutlich heißt einer davon Matthew”, fuhr Mandy fort. “Weißt du, nachdem ich mit ihm gesprochen habe, bin ich auch nicht gescheiter und weiß immer noch nicht, warum er hier ist.”
    “Vielleicht handelt er in Immobilien und hat vor, eine Reihe Eigentumswohnungen da unten beim
    Volleyballnetz
    hinzusetzen”, erwiderte Charity unbarmherzig.
    “Dann müßte er ein Herz aus Stein haben!”
    “Eben”, murmelte Charity.
    “Ach Charity, dein Problem ist, du bist es gewöhnt, daß dir alle zu Füßen liegen, weil du Ärztin bist. Er war nicht unhöflich.
    Er denkt eben, du bist auch nur eine gewöhnliche Sterbliche. Du siehst wie eine verführerische Frau aus, und entsprechend hat er dich behandelt. Daran mußt du dich diesen Sommer gewöhnen.”
    Charity mußte zugeben, daß daran etwas Wahres sein konnte.
    “Vielleicht sollten wir mein Sex-Image ein bißchen dämpfen.
    Eine Sexbombe bin ich einfach nicht.”
    “Auf keinen Fall ändern wir dein Image”, bestimmte Mandy.
    “Er könnte Schriftsteller sein. Anpetuwi ist der ideale Ort, ein Buch zu schreiben, findest du nicht auch?”
    “Hmm.” Charity war nicht überzeugt.
    “Was für Bücher schreibt er wohl, was denkst du?”
    “Keine Liebesromane”, sagte Charity kurz angebunden.
    “Abenteuer”, entschied Mandy.
    “Horror!” verbesserte Charity.
    Es war nicht unbedingt die schlimmste Nacht ihres Lebens, aber es fehlte nicht viel. Anpetuwi war heute zum erstenmal offen, und es war bis zum Bersten voll. Charity fand den Zigarettenqualm unerträglich. Das flammendrote Sonnenkleid hing schon nach einer Stunde wie verwelkt an ihr herunter.
    Gäste riefen von allen Seiten. Sie hatte Mühe, sich die Namen der Drinks zu merken, die sie bestellten, und fand es fast unmöglich, alles im Kopf zusammenzurechnen.
    Als wäre das nicht schlimm genug, mußte auch “er” noch auftauchen. Zum Glück war kein Tisch zu haben. Gerade, als sie dachte, er würde gehen, stand ein offensichtlich sehr verliebtes junges Pärchen auf und überließ ihm seinen Tisch.
    Als Charity endlich frei war, seine Bestellung anzunehmen, sah er ungeduldig aus wie jemand, der es gewöhnt war, daß jeder sofort alles liegen-und stehenließ, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.
    “Was darf ich Ihnen bringen, Mr. Blake?”
    Er ließ den Blick langsam abschätzend an ihr hinauf gleiten und schließlich auf ihrem Gesicht ruhen. Welche Frechheit, sie zu behandeln, als hätte er das Recht, sie mit diesem unverschämten Gesichtsausdruck zu mustern!
    “Ein Canadian Club mit Wasser.” Er lehnte sich zurück und steckte eine seiner übelriechenden Zigarren an.
    Charity funkelte ihn an. Sie war zwar Kellnerin für den Sommer, aber das war kein Grund, sich wie ein Roboter behandeln zu lassen. “Bitte”, forderte sie honigsüß.
    Sie hatte das Vergnügen zu sehen, wie ihm das Kinn nach unten fiel. Er kniff die Augen zusammen, nickte leicht und sagte: “Entschuldigen Sie, Miss Marlowe. Bitte.”
    “Danke”, erwiderte sie kurz angebunden und hätte es dabei belassen sollen, aber es war, als wäre ein kleiner Teufel ihr in die Zunge gefahren. “Darf ich Sie etwas fragen?”
    Er zuckte die Schultern, schaute sie aber argwöhnisch an.
    Dann zog er an der Zigarre und blies eine dünne Fahne beißenden Rauchs durch seine festen sinnlichen Lippen.
    “Wissen Sie, wie die menschliche Lunge aussieht?” fragte Charity ihn. Er hatte wohl erwartet, sie würde wissen wollen, was er in London mache, oder ihm mit einem Dutzend anderer Fragen schmeicheln, gegen die er sich zu wappnen schien.
    Er hob erstaunt und leicht spöttisch die Augenbrauen. “Nein, wissen Sie es?”
    “Allerdings. Die Lunge ist ein unglaublich schöner, zarter Teil Ihres Körpers. Eine gesunde Lunge ist rosa und wie eine Wabe von feingesponnenen Sauerstoffgefäßen durchzogen. Eine ungesunde Lunge ist schwarz und zäh. Sie haben Glück,
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