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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Autoren: David Graeber
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erlösende Element besteht in diesem Fall teilweise darin, dass solche Leute in der persönlichen Begegnung überhaupt nicht so selbstgefällig oder divenhaft sind, wie man es sich vorher vielleicht ausgemalt hat. Eigentlich vermittelten sie ausnahmslos den Eindruck von ehrlichen, anständigen Menschen, die wohl viel lieber Arm in Arm mit proletarischen Rebellen auf den Barrikaden gestanden hätten. Im Endeffekt wunderten sie sich genau wie alle anderen auch, wie es eigentlich dazu gekommen war, dass sie nun in einem Museum standen und irgendwelchen Dilettanten Trends in der Kunstwelt näherbringen sollten.
    Ein Großteil des Essays ist erneut einer theoretischen Reflexion gewidmet. Doch dabei geht es weniger um meine eigenen Theorien als vielmehr um Teilaspekte des Postoperaismus, jener in Italien in den 1970er Jahren entwickelten revolutionären Theorie, die in den letzten Jahren Eingang in die englischsprachige akademische Forschung und Kunstwelt gefunden hat. Die Analyse fällt allerdings ziemlich schonungslos aus. Der Hauptkritikpunkt ist jedoch nicht, dass diese bestimmte Spielart postoperaistischer Theorie falsch sei. Vielmehr ist sie angesichts der Umstände unangemessen, da es sich bei diesen Konzepten weniger um eine Theorie, sondern vielmehr um prophetische Voraussagen handelt. Im Rahmen dieses Aufsatzes habe ich daher versucht, verschiedenen Eigenheiten und Entwicklungen sowohl im Bereich der Theoriebildung als auch in der Kunstwelt auf den Grund zu gehen. Im Hinblick auf die Theorieebene habe ich versucht herauszuarbeiten, was mit intellektuellen Traditionen geschieht, wenn diese ihr radikales Potenzial völlig erschöpft haben. In Bezug auf den Themenkomplex Kunst zeige ich, dass es spezifische Bereiche in der Kunstwelt gibt, in der die Kunst in Mode übergeht, wobei sowohl die Kunst als auch die Mode in finanzielle Abstraktionen verstrickt und somit eng mit der Finanzwelt verbunden sind. Doch selbst innerhalb dieser Bereiche existieren noch Sphären der Freiheit, die dem Würgegriff des Kapitals entgehen; dies gilt nicht nur für die Kunst, sondern gleichermaßen für die Ebene der Ideen und der Theoriebildung. Unabhängig davon, wie man sich »die Revolution« letztlich vorstellt, kann ein solcher Traum nie verschwinden. Denn um die Gegenwart überhaupt verstehen zu können, ist die Vorstellung einer erlösenden Zukunft unerlässlich. Wir können den Wert dessen, was uns umgibt, nur aus der Perspektive eines imaginären Lands heraus ermessen, dessen
Konturen wir jedoch noch nicht einmal dann begreifen können, wenn wir uns bereits darin befinden.
    Der letzte Aufsatz, Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus , war nicht in der griechischen Ausgabe enthalten, da er erst später geschrieben wurde, und zwar im Herbst 2010. Aber ich bin der Meinung, dass er in die vorliegende Aufsatzsammlung passt. Zwar werden darin Fragen der revolutionären Strategie unmittelbarer angesprochen als anderswo, gleichzeitig werden sie aber insbesondere im Lichte der ausweglosen Situation – und der Zerstörung der Träume – betrachtet, die thematisch in einem Großteil der hier versammelten Essays präsent sind. Auch in diesem Text geht es zunächst um Hoffnung von unerwarteter Seite. Zu Beginn wird beschrieben, wie es während der französischen Streikwelle im Oktober 2010 zu einer überraschenden Annäherung zwischen Klimademonstranten und Ölarbeitern kam, wobei beide Seiten erkannten, dass sie gemeinsame Interessen und Ziele verfolgten. Vielleicht sind viele der tiefgreifenden Spaltungen zwischen den verschiedenen kapitalismuskritischen Bewegungen, die sich zur Zeit formieren, gar nicht so tief, wie man sich gemeinhin vorstellt. So wird beispielsweise angenommen, dass zwischen der ökologischen, an Prinzipien der direkten Aktion orientierten Bewegung und Gewerkschaftern eine unüberwindliche Kluft besteht. In den 1960er Jahren sprach man etwa vom Gegensatz zwischen Hippies und »Hardhats«, also den Schutzhelm tragenden Arbeitern, die in den traditionellen Gewerkschaften organisiert sind. Doch schon vor den Streiks in Frankreich war es zu einem Bündnis zwischen diesen beiden Gruppen gekommen: Die Rede ist hier von der viel beschworenen Allianz zwischen »Teamstern« und »Turtles«, also Transportarbeitern und Umweltschützern, die während der Proteste in Seattle im Jahr 1999 scheinbar zufällig zusammengefunden hatten. Schon
immer war die Arbeiterklasse im Spannungsfeld zwischen zwei Polen gefangen: Zum einen hängt sie
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