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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Autoren: David Graeber
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verüben, der als einer der wenigen in der Geschichte tatsächlich »funktionierte«. Ohne Frage würden sie einen solchen Gewaltakt niemals wiederholen können.
    Wie konnte die Strategie der Mächtigen unter solchen Umständen Erfolg haben? Die amerikanische Öffentlichkeit hatte aus irgendeinem Grund für dieses Projekt gestimmt. Darüber hinaus musste ich bestürzt mit ansehen, wie scheinbar jeder Versuch, einen internationalen Widerstandsgeist wiederaufleben zu lassen, scheiterte, egal ob bei den G8-Protesten, den Aktionen rund um den darauffolgenden G20-Gipfel oder bei den Demonstrationen während diverser UN-Klimakonferenzen. Zwar wurde dabei teilweise eine Reihe kleinerer taktischer Siege errungen, was jedes Mal von neuem auf einen
plötzlichen Energieschub hoffen ließ, aus dem heraus sich dann eine längerfristige Bewegung entwickeln sollte. (Immer wieder hieß es: »Jetzt haben wir es endlich geschafft, wir sind über den Berg.«) Doch in Wirklichkeit ist es nie dazu gekommen. Natürlich lag dies zum Teil auch daran, dass der Grad der Repression drastisch zugenommen hatte. Genauer gesagt hatten die Polizei und andere Sicherheitskräfte offensichtlich den Eindruck, dass sie mit uns auf einmal sehr viel härter umspringen konnten. Doch es lag keineswegs ausschließlich daran. Im Gegenteil, was uns am meisten behinderte, war ausgerechnet die Tatsache, dass unser Gegner derart planlos agierte.
    In diesem Zusammenhang ist mir noch gut in Erinnerung, wie ich im Jahr 2007, vor dem G8-Gipfel in Japan, von einigen japanischen Freunden gebeten wurde, eine strategische Analyse der globalen Situation aus der Sicht des Kapitals sowie der entsprechenden Protestbewegungen zu erstellen. Ich durfte dabei mit einem großartigen Team zusammenarbeiten, hauptsächlich bestehend aus Leuten, die ansonsten im Kollektiv »Midnight Notes« aktiv sind. Im Rahmen dieses Projekts entwickelten wir eine in meinen Augen nach wie vor faszinierende und überzeugende Analyse der wirtschaftlichen Sackgasse, in die sich das Kapital zu diesem Zeitpunkt hineinmanövriert hatte. Zugleich arbeiteten wir eine plausible Strategie zur Überwindung dieser Krise aus. (Im Wesentlichen gingen wir davon aus, dass man zunächst eine globale ökologische Krise ausrufen sollte. Im Anschluss daran sollte eine an einem grünen Kapitalismus orientierte Strategie umgesetzt werden, um Ressourcen, beispielsweise aus Staatsfonds, allmählich der Kontrolle der Finanzeliten zu entreißen, stattdessen wieder unter staatliche Kontrolle zu stellen und entsprechend für andere Zwecke einzusetzen.) Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies die bestmögliche Strategie gewesen wäre, die sie hätten
wählen können, um die langfristige Überlebensfähigkeit der kapitalistischen Ordnung zu sichern. Das Problem war nur: Darum ging es ihnen primär gar nicht. Die Staats- und Regierungschefs stritten sich während der Gipfeltreffen ausschließlich über Belanglosigkeiten. Doch wie sieht eine radikale Reaktion auf allgemeine Verwirrung aus? Wie um alles in der Welt hätten wir uns eine Gegenreaktion auf ihre bösartigen Pläne ausdenken sollen, wenn sie noch nicht einmal selbst wussten, was sie eigentlich vorhatten?
    Im Rückblick kann man natürlich leichter erkennen, was damals ablief. Den hohen Tieren, die während der verschiedenen Gipfeltreffen zusammenkamen, war vermutlich eher bewusst als uns, dass das gesamte System nur noch am seidenen Faden hing. (Letztlich beruhte es auf einer höchst altmodischen Allianz der Militär- und Finanzmacht, die typisch war für die Spätphase kapitalistischer Imperien.) Den Mächtigen der Welt ging es dabei weniger darum, das System zu retten, als vielmehr sicherzustellen, dass sämtliche plausible Alternativen in den Köpfen der Menschen ausradiert würden. Denn wenn das ganze System dann zusammenbrechen würde, hätten sie als Einzige Lösungen anzubieten. Nicht, dass es seit der weltweiten Finanzkrise 2008 auffallend viele Lösungsvorschläge gegeben hätte. Doch immerhin lässt sich nun nicht mehr leugnen, dass ein fundamentales Problem existiert. Die Ordnung, die zwischen 2004 und 2008 Bestand hatte, wird es in dieser Form niemals wieder geben, auch wenn sie zeitweise selbst von kritischen Kreisen überall auf der Welt zähneknirschend geduldet worden war. Sie war schlicht nicht überlebensfähig.

    Die vorliegenden Texte sind somit das Produkt eines chaotischen Interregnums, in dem es schwerfiel, irgendwo einen Hoffnungsschimmer
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