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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Autoren: David Graeber
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auszumachen. Falls dieser Essay-Sammlung ein verbindendes Thema zugrunde liegt, dann wohl, dass in allen Texten jeweils ein Aspekt aus diesem Zeitraum herausgegriffen wird, der zunächst besonders bedrückend oder entmutigend wirkt, also beispielsweise ein augenscheinlicher Misserfolg, ein Stolperstein, eine Gegenmacht oder ein Beispiel für einen Moment, in dem sich die weltweite antikapitalistische Bewegung eher unklug verhalten hatte. Ausgehend von diesem negativen Aspekt wird dann versucht, beispielsweise ein verborgenes Detail, das man normalerweise nicht wahrnimmt, oder einen weniger offensichtlichen Blickwinkel herauszuarbeiten, von dem aus gesehen die scheinbar trostlose Landschaft auf einmal in einem ganz anderen Licht erscheint.
    Am deutlichsten offenbart sich diese Vorgehensweise in den ersten drei Aufsätzen, die jeweils von den Lehren handeln, welche man aus der Bewegung für globale Gerechtigkeit ziehen könnte. Im Grunde gilt dies jedoch für alle Essays, die in diesem Band versammelt sind.
    Am explizitesten ausgeführt ist dies wohl in Der Schock angesichts des Sieges , weshalb die Essay-Sammlung mit diesem Text eröffnet wird. Wie bereits erwähnt, hatten die meisten Menschen, die in der globalen Gerechtigkeitsbewegung aktiv gewesen waren, nicht das Gefühl, sonderlich viel bewegt zu haben. Wir alle hatten miterlebt, wie nach den ersten aufregenden Jahren interne Machtkämpfe entflammt waren und sich Erschöpfung und Verwirrung breitgemacht hatten. Bündnisse zerbrachen, und es gab endlose erbitterte Diskussionen über Rassismus, Sexismus, Privilegien, Lebensstil, das so genannte Gipfel-Hopping, Entscheidungsfindungsprozesse, die mangelnde Zusammenarbeit mit echten widerständischen
Gemeinschaften und so weiter. Dies konnte nur eins heißen: Die Bewegung hatte sich letztlich als zu schwach und ineffektiv erwiesen, und uns war es nicht gelungen, auch nur ein einziges unserer zentralen Ziele zu erreichen.
    Paradoxerweise war diese Entwicklung jedoch eigentlich ein direktes Ergebnis unseres Erfolgs. Die meisten jener kleinlichen Streitereien waren im Prinzip indirekte strategische Debatten darüber, wie es nun weitergehen sollte, da wir so viele unserer unmittelbaren Ziele so schnell erreicht hatten. So wollten wir beispielsweise einer auf Strukturanpassungsprogrammen beruhenden Politik ein Ende setzen und neue weltweite Handelsabkommen verhindern. Des Weiteren sollte der Ausbau von Institutionen neoliberaler Herrschaft wie IWF und WTO gestoppt und deren Einfluss beschnitten werden. Das Problem hierbei war, dass niemand die Erfolge als solche erkannte, was es nahezu unmöglich machte, eine umfassende und ehrliche Auseinandersetzung hierüber zu führen. Die Diskussionen wurden immer hitziger, und die daraus entstehenden Frustrationen überwogen schließlich derart, dass es fast niemandem auffiel, dass wir unsere Ziele ja eigentlich erreicht hatten! Es ist zwar richtig, dass der Text mit einer wesentlich weitreichenderen Frage endet, und zwar der Frage: Was würde es bedeuten, tatsächlich zu gewinnen?, wie es die Zeitschrift Turbulence in einer Sonderausgabe ein oder zwei Jahre später formulieren sollte. Doch in erster Linie setzt sich der Essay mit der außergewöhnlichen historischen Schlagkraft von Bewegungen auseinander, die auf den Prinzipien der direkten Aktion und der direkten Demokratie basieren. Gleichzeitig wird auf die eigentümliche Tatsache aufmerksam gemacht, dass unseren Gegnern die potenzielle Wirkmächtigkeit solcher Bewegungen viel eher bewusst zu sein scheint, als denjenigen, die innerhalb dieser Bewegungen selbst aktiv sind
(was sich an deren panikartigen Reaktionen nur allzu deutlich ablesen lässt). Auch dass solche Bewegungen tatsächlich eine Bedrohung für globale Machtstrukturen darstellen, scheinen sie eher zu erkennen als die Aktivisten selbst.
    Dasselbe Thema wird im Aufsatz Geteilte Hoffnung erneut aufgegriffen und weiter vertieft. Wer sich für die Welt ein anderes Organisationsprinzip als den Kapitalismus wünscht, für den ist es fast normal, sich die meiste Zeit über deprimiert und entmutigt zu fühlen. Doch woher kommt dieses Gefühl? Könnte es nicht sein, dass unsere Niedergeschlagenheit nur daher stammt, dass Kapitalisten und Politiker alles daransetzen, uns ein solches Gefühl einzuimpfen? Vielleicht ist genau das der eigentliche Zweck des Neoliberalismus. Der neoliberale Kapitalismus als Regierungsform zeichnet sich dadurch aus, dass er um jeden Preis den
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