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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut
Autoren: Andreas Franz
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Doch ich hätte gerne mit ihr geschlafen, das gebe ich zu.«
    »Selina war einen ganzen Tag lang in Ihrer Gewalt. Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    »Nichts. Sie hat die meiste Zeit geschlafen. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gespritzt und mich mit ihr unterhalten. Das war alles.«
    »Und die Angst, die die Mädchen hatten, hat Ihnen das nichts ausgemacht?«
    »Nein.«
    »Wo ist Selinas Fahrrad?«
    »Ich hab’s in den Main geworfen, ganz einfach.«
    »Wie haben Sie es eigentlich geschafft, das alles in Ihrem Haus zu machen, ohne dass Ihre Frau etwas davon mitbekam? Ich meine, Sie haben den Raum eingerichtet und …«
    Kaufmann unterbrach sie. »Ich sagte doch schon, wir sind getrennte Wege gegangen. Sonja hat sich schon seit sechs Jahren nicht mehr für das interessiert, was ich gemacht habe. Sie glaubte, es wäre einfach nur ein Zimmer, in das ich mich zurückzog, wenn ich allein sein wollte. Außerdem habe ich eine große Schmetterlingssammlung dort unten.«
    »Aber Sie haben einen Tisch im Boden verschraubt. Das geht doch nicht ohne Löcher zu bohren, und das macht Krach.«
    »Ja und? Ich war doch eh die meiste Zeit allein, außer wenn ich arbeiten ging.«
    »Haben Sie Mitleid mit den Opfern?«
    »Ich hatte Mitleid, aber schon lange bevor ich sie getötet habe. Ich dachte nur, wie soll das werden, wenn sie älter sind.«
    »Und die Angehörigen, was ist mit denen?«
    »Sie werden darüber hinwegkommen. Irgendwann werden sie wieder leben, als wäre nichts gewesen, glauben Sie mir. Auch eine Familie Kautz. Sie werden ans Grab gehen, Blumen hinbringen, und das war’s auch schon.«
    »Sie sind ein Zyniker.«
    »Mag sein. Aber haben Sie die Trauer der Menschen gesehen? Haben Sie überhaupt jemanden trauern sehen? Ich nicht. Sie tun alle so, aber in Wirklichkeit geht es ihnen am Arsch vorbei. Sie stehen auf der Straße und tratschen und tuscheln hinter vorgehaltener Hand und heucheln Trauer vor, aber sie sind kalt wie ein toter Fisch.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Weil ich die Menschen kenne. Und weil ich sie beobachtet habe. Selbst Andreas’ Trauer hat sich in Grenzen gehalten, wie Sie vielleicht bemerkt haben. Erst hat er eine Affäre mit einem Mädchen, das leicht seine Tochter hätte sein können, doch als sie tot ist, habe ich keine große Veränderung bei ihm verspürt. KeinSchmerz, kein Leid, keine Trauer. Was soll’s, ist nicht mein Problem. Wissen Sie, ich habe Sonja vor fünfzehn Jahren kennen gelernt. Sie war eine junge Frau, und ich habe mich vom ersten Moment an in sie verliebt. Wir haben geheiratet, als ich fünfundzwanzig war. Ich hatte studiert, aber nie einen Abschluss gemacht. Sie hingegen schaffte ihren Abschluss als Tierärztin. Wir kommen beide aus so genannten guten Häusern, wobei ihres um einiges besser ist als meins, zumindest geht es dort harmonischer zu. Aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Unsere ersten Jahre waren einfach phantastisch, und wenn ich auch nie einen Superjob hatte, ich habe immer gutes Geld verdient, doch meinem werten Herrn Vater hat das nie genügt. Ich sollte gefälligst so werden wie er, doch ich wollte es nicht. Das ist aber auch egal. Vor gut sechs Jahren wurde unser Sohn Tobias geboren, ein Wunschkind. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt, und ob Sie es mir glauben oder nicht, ich hatte tatsächlich vor, mein Studium zu beenden und richtig Karriere zu machen. Aber dann teilte mir meine Frau mit, dass sie vorläufig nicht mehr mit mir schlafen könne, angeblich wegen einer Kindbettneurose. Ich hatte mich schon gewundert, dass sie nicht mehr zu mir kam, um mit mir zu kuscheln, sie wollte nicht einmal mehr in den Arm genommen werden. Ich dachte mir, das gibt sich schon wieder, aber weit gefehlt. Ich habe mich gefragt, was ich falsch gemacht habe oder ob vielleicht ein anderer Mann dahintersteckt, aber Fehlanzeige. Doch ich habe mich gewundert, dass sie sich immer öfter auf dem Reiterhof aufgehalten hat. Jeden Tag, und das manchmal fünf, sechs Stunden lang. Ich habe sie darauf angesprochen, woraufhin sie nur gemeint hat, sie müsse sich um die Pferde kümmern und es würde ihre Depressionen lindern. Dabei habe ich nie Depressionen bei ihr bemerkt… Bis ich dahinter gestiegen bin, dass diese angebliche Kindbettneurose und diese Depressionen eine einzige Lüge waren. Es war im Oktober 96, es hat ziemlich stark geregnet. Meine Schwiegermutter sollte an diesem Abend auf unsern Sohn aufpassen, sie hat aber plötzlich abgesagt, und da ich
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