Kalter Süden
reichte sie ihm gerade bis an den Adamsapfel.
»Ich gebe dir einen guten Rat, Nachrichtenchef. Zügle deinen Übereifer. Du wirst in den Graben rauschen, dass es nur so kracht, wenn du in dem Tempo weitermachst.«
Patrik wurde eine Idee blasser.
»Bloß, weil du nicht befördert worden bist«, sagte er und ging hinüber zum Sport.
»Lass uns das selbst nachprüfen«, sagte Berit und griff zum Telefon.
Nach einer Reihe von Anrufen hatten sie die Bestätigung der spanischen Polizei, dass fünf Personen, wohnhaft außerhalb von Marbella, in der Nacht bei einem sogenannten Gasüberfall ums Leben gekommen waren. Zur Identität oder Nationalität der Opfer könne man frühestens gegen Mittag des nächsten Tages etwas sagen, hieß es.
Sie legten eine Pause ein und eilten nach unten in die Kantine.
»Sport ist nicht meine starke Seite«, sagte Berit, als sie sich jeweils mit einem Teller Gulasch an einem der Fenstertische niederließen. »Wer ist der Mann?«
Annika knabberte an einer Scheibe Knäckebrot und sah hinaus in das Grau vor dem Fenster.
»Er war jahrelang Profi in der NHL «, sagte sie. »Zuerst bei den Anaheim Ducks und dann bei Colorado Avalanche. Anfang der Neunziger hat er ein paar Saisons in der schwedischen Nationalmannschaft gespielt, ich glaube, er hat 1991 in Finnland und ’ 92 in der Tschechoslowakei WM -Gold geholt …«
Berit legte die Gabel auf den Tellerrand.
»Woher weißt du das alles?«
Annika trank von ihrem Mineralwasser und schluckte mühsam.
»Er war Svens Idol«, erwiderte sie kurz, und da fragte Berit nicht weiter.
»Ist schon seltsam mit diesen ehemaligen Sportstars«, sagte sie und folgte Annikas Blick nach draußen. »Sie sind wie schwarze Löcher, die ziehen das Elend nur so an.«
Große Regentropfen klatschten an die Fensterscheibe.
»Stell dir vor, du hast deine große Zeit mit vierundzwanzig«, sagte Annika nachdenklich. »Dann bist du für den Rest deines Lebens nur noch ehemalig .«
Sie ließen den Kaffee ausfallen und gingen wieder nach oben in die Redaktion.
Patrik wartete schon ungeduldig auf Annikas Platz.
»Ich habe was für dich«, sagte er. »Ab heute Nachmittag soll Kicki Pop das Programm moderieren, das vor dem Wochenrückblick auf P 1 gesendet wird. Ich möchte, dass du Erik Ponti vom Echo anrufst und ihn fragst, was er davon hält.«
Annika starrte ihren, tja, Nachrichtenchef an und wartete auf das erlösende Gelächter.
Es kam nicht.
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«, fragte sie. »Ich bin am Gasmord in Marbella dran, das ist ein Riesending. Da unten sind massenhaft Schweden, die …«
»Darum kann Berit sich kümmern. Ich will, dass du jetzt das hier machst.«
Sie traute ihren Ohren nicht.
»Du gibst mir allen Ernstes den Auftrag, Erik Ponti anzurufen, damit er schlecht über eine Kollegin redet? Die außerdem jung und blond ist?«
»Er ist doch bekannt dafür, dass er solche Tussis direkt über den Fußknöcheln absägt.«
Annika setzte sich auf ihren Stuhl, den Rücken kerzengerade.
»Ponti ist zwar aufgeblasen und selbstgefällig«, sagte sie, »aber doch nicht blöd. Er hat ein einziges Mal eine blonde Kollegin kritisiert, und das sogar zu Recht. Trotzdem hat er dafür jede Menge Schläge einstecken müssen. Und du glaubst wirklich, dass er das noch mal tut?«
Patrik beugte sich über sie.
»Du rufst da jetzt an«, befahl er.
Annika senkte den Kopf, griff zum Hörer und rief beim Echo an.
Erik Ponti wollte keinen Kommentar abgeben, weder zu Kicki Pop persönlich noch zu ihrem Programm.
»Was für eine Überraschung«, sagte Annika, zog ihre Jacke an und ging Richtung Hausmeisterei.
»Wo willst du hin?«, rief Patrik ihr hinterher.
»Ich habe um zwei eine Verabredung«, sagte sie über die Schulter.
»Mit wem?«
Sie drehte sich um und sah ihn an.
»Es gibt etwas, das nennt sich Quellenschutz«, sagte sie. »Schon mal davon gehört?«
»Nicht gegenüber deinen Vorgesetzten«, sagte er, und Annika sah, dass seine Ohrläppchen dunkelrot angelaufen waren.
»Nicht gegenüber dem verantwortlichen Herausgeber«, korrigierte sie ihn.
Dann ging sie zur Hausmeisterei und ließ sich vom guten Tore ein Auto geben.
Der Regen wurde stärker, und sie musste die ganze Fahrt über die Scheibenwischer eingeschaltet lassen. Es war erst halb zwei, aber die Dunkelheit kam schon näher, schlich sich über frierende Fußgänger und schmutzige Straßenlaternen und Lastzüge mit flimmernden Scheinwerfern heran.
Sie fuhr Richtung Westen, nach
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