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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Autoren: Werner Toporski
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machen? Wo sie wohl sind? Und Papa?
    Vergleiche mit der Zeit auf unserm Hof in Waly fallen mir immer schwerer. Das ist alles so unwirklich, als ob ich es nur geträumt hätte. Das taugt nicht zum Vergleich!
    Manchmal frage ich mich, ob das wahr ist, was ich hier erlebe. Es ist, als ob ich in einem Märchen gelandet wäre. Ich sitze mit allen anderen zusammen an einem Tisch, esse, rede, lache mit ihnen, und die Arbeiten, die ich zu erledigen habe, sind keine Schufterei bis zur Erschöpfung, sondern Sachen, die ich kann. Niemand schlägt mich hier, nie höre ich hier ein böses Wort. Niemand schickt mich barfuß auf eiskalte Weiden und liefert mich bösartigen Jungen aus, die mich verprügeln. Und ich habe ein Bett! Ein eigenes Bett! Sosehr ich auch Marthas Bauch geliebt habe: Es ist herrlich, in einem Bett zu schlafen, zusammen mit Bożena in einer Kammer.
    Ich gehe immer ein bisschen früher ins Bett als sie, und dann lausche ich durch die offene Tür, durch die der schwache Lichtschein der Petroleumlampe dringt, auf die Gespräche unten, höre manchmal die Nähmaschine rattern, und wenn es ganz still ist, dann weiß ich, dass die Frauen stricken. Es ist alles so friedlich hier und ich schlafe ohne Angst ein und wache ohne Angst auf.
    Das Orakel mit dem Eichhörnchen – es hat also doch gestimmt!
     
    Der Winter ist so kalt geblieben, wie er begonnen hat, und morgens, wenn wir aus dem Bett steigen, steht unser Atem im Schein des Lichts wie eine kleine Wolke vor uns. Am Fenster sind Eisblumen mit immer neuen Mustern. Palmwedel gibt es da und ganze Wälder, dann wieder Schneegebirge und richtige Landschaften. Wenn man hinausschauen will, muss man so lange an die Scheibe hauchen, bis das Eis schmilzt und ein kleines Guckloch entsteht. Lange bleibt es nicht klar, dann friert es wieder zu und man muss von neuem hauchen. Geheizt wird unsere Kammer nicht, aber wir haben Ziegelsteine, die wir auf dem Herd erwärmen und vor dem Schlafengehen unter die Decke schieben. Ich tue meinen immer dahin, wo ich nachher liege, zwischen Po und Rücken etwa. Wenn ich dann im Bett bin, strampele ich ihn ganz nach unten, um auch noch warme Füße zu bekommen. Das war erst gar nicht so leicht mit dem schweren Stein, der sich immer zwischen Laken und Deckbett verhakte, aber jetzt habe ich es heraus.
    Manchmal schlafe ich noch nicht, wenn Bożena kommt. Tief mummeln wir uns in unsere Federbetten ein. Wie dicke Berge liegen sie über uns.
    »Gute Nacht, Bożena!«
    »Gute Nacht!«
    Sie bläst das Licht aus.
    »Kann ich zu dir kommen, wenn mir zu kalt ist?«
    »Natürlich!«
    Eigentlich brauche ich das nicht, aber es ist schön zu wissen, dass ich es könnte. Ich schlüpfe auch nicht oft zu ihr hinüber, aber wenn ich es tue und wenn dann Bożena im Schlaf ihre Hand über mich legt, dann fühle ich mich so sicher, wie ich mich sonst nur bei Mama gefühlt habe. Anscheinend bin ich doch noch nicht so groß, wie ich aussehe.
    Manchmal, wenn ich in der Nacht aufwache, horche ich in die Dunkelheit hinein auf ihr Atmen. Es ist so schön zu wissen, dass da jemand ist, dass da jemand auf mich aufpasst, dem ich vertraue und der mich beschützen kann.
    Es muss mitten in der Nacht sein. Ich bin aufgewacht und lausche auf den Atem von Bożena. Aber es ist ganz still. Ich höre nichts.
    Leise rufe ich hinüber: »Bożena?«
    Keine Antwort.
    Wo ist sie?
    »Bożena«, rufe ich wieder, diesmal etwas lauter.
    Die Dunkelheit wird immer dichter, will mich geradezu erdrücken. Und das Rascheln! Irgendetwas Lebendiges wimmelt um mich herum! Was ist da? Etwa Ratten wie damals in der Kate, als sie den Säugling angefallen haben? Eine? Viele? Nein, es sind gar keine Ratten, da ist jemand! Ich sehe Gestalten aus dem Dunkel wachsen, Hexen, die mit dürren Fingern nach mir greifen, aber ich weiß nicht, von welcher Seite sie zuerst auf mich eindringen werden!
    »Bożeeenaaa!«, rufe ich verzweifelt.
    Aber niemand hört mich, niemand kommt. Ich will wegrennen und kann es nicht, denn draußen verliere ich den letzten Schutz, den ich besitze. Rasend vor Angst ziehe ich mir die Decke über den Kopf, suche Schutz in der dichten Abgeschlossenheit meines Bettes, ziehe die Knie an und rolle mich so klein zusammen, wie es geht. Aber meine Angst verebbt nur sehr langsam.
    Irgendwann muss ich dann doch eingeschlafen sein.
    Natürlich merkt Bożena am Morgen gleich, dass etwas nicht stimmt.
    »Was ist denn?«
    Und ich erzähle ihr alles, erzähle von der Angst, von den Ratten, von
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