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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille
Autoren: Wulf Dorn
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Antwort nicht gewusst hätte.
    Manchmal stellt das Leben Fragen, auf die es keine Antworten gibt, dachte er und stieg in seinen Wagen. Aber es gibt uns immer wieder die Möglichkeit für einen Neuanfang .

2
    Nichts bleibt, wie es ist. Diese alte Weisheit kam Jan in den Sinn, als er mit seinem VW Golf - einem klapprigen 3er-Modell, das die nächste TÜV-Plakette wahrscheinlich nicht mehr erleben würde - von der Schnellstraße abbog und in Richtung Innenstadt fuhr.
    Mit den Überbleibseln eines vergangenen Lebens auf der Rückbank kehrte er nun in eine noch weiter hinter ihm liegende Zeit zurück. An den Ort, an dem er ein unbeschwertes, glückliches Leben begonnen und an dem dieses Leben die schlimmste nur denkbare Wendung genommen hatte. An einen Ort, der ihm einst vertraut gewesen war und der ihm nun vollkommen fremd erschien.
    Fahlenberg hatte sich verändert. In den fast zwanzig Jahren, seit Jan der Stadt den Rücken gekehrt hatte, war sie um ein beachtliches Stück gewachsen. Die ausladenden Grünflächen am Ortseingang, auf denen Jan und seine Freunde einst Fußball gespielt und sich im Winter ausgelassene Schneeballschlachten geliefert hatten, waren
nun mit einer Autowaschanlage und diversen Discountern zugebaut. Die Schrebergartensiedlung mit den bunten Hütten hatte zwei gewaltigen Baumärkten weichen müssen, und auf den Feldern hinter dem Friedhof ragten jetzt mehrere Hochhäuser und Betonbauten empor.
    Als Jan an einer Ampel halten musste, sah er zu den grauen Scheußlichkeiten hinüber und dachte an die erste und einzige Zigarette seines Lebens, die er dort mit seinem Freund Dieter heimlich geraucht hatte - verborgen von hohen Maisstauden, die in der Herbstsonne auf die Ernte gewartet hatten. Fünfundzwanzig Jahre musste das jetzt her sein, doch noch immer sah er alles genau vor sich. Die beiden filterlosen Roth-Händle, die Dieter seinem Vater geklaut hatte, das billige Plastikfeuerzeug, das zuerst nicht hatte funktionieren wollen, und wie sie sich die Zigaretten angesteckt und nach dem ersten Lungenzug sofort wieder ausgedrückt hatten, weil ihnen schwindlig geworden war. Jan hatte einen Hustenanfall bekommen und sich vorgenommen, nie wieder zu rauchen.
    Nun stellte er fest, dass sich in einem der Betonklötze eine Spielhalle befand. Der Bau daneben - Jan glaubte seinen Augen nicht zu trauen - beherbergte ein Eros-Center namens Love Palace . Einen unpassenderen Platz hätte man für dieses zweistöckige Etablissement nicht finden können. Wer dort aus dem Fenster schaute, sah direkt auf die Leichenhalle des Friedhofs hinüber.
    Daneben wies ein Schild auf das Industriegebiet hin, das sich dort ausbreitete, wo es einst nur eine Ledergerberei und eine Maschinenfabrik gegeben hatte.
    Die ganze Stadt schien verändert. Markante Gebäude hatten Straßenverbreiterungen weichen müssen. Der
Tante-Emma-Laden an der Hauptstraße und die alte Bäckerei daneben waren zu einem Handyladen und einem Döner-Imbiss geworden. Mehrere der ehemaligen kleinen Geschäfte standen leer. Ihre mit Tüchern oder Karton verhängten Schaufenster kamen Jan wie blinde Augen vor, als er sich seinen Weg durch den Vormittagsverkehr bahnte.
    Nur hin und wieder sah er Altvertrautes. Natürlich stand die Kirche noch. Auch der Schreibwarenladen, in dem er früher seine Schulhefte gekauft hatte, war noch am selben Ort, und Jan fiel wieder ein, dass er von dem Geld, das ihm seine Mutter mitgegeben hatte, immer ein bisschen abgezweigt hatte, um sich Comic-Hefte kaufen zu können. Und den Fotografen, bei dem er einst für seine Kommunions- und Schultütenbilder posiert hatte, gab es ebenfalls noch. Bestimmt hat inzwischen der Sohn das Geschäft übernommen, dachte Jan.
    Doch trotz dieser kleinen Vertrautheiten empfing ihn Fahlenberg kalt und gleichgültig. Zwar hatte Jan nicht unbedingt erwartet, mit offenen Armen empfangen zu werden - dafür war einfach zu viel Zeit ins Land gegangen -, aber er hatte zumindest gehofft, etwas zu empfinden, was bei einem Menschen einem erkennenden Kopfnicken gleichgekommen wäre.
    Der Eindruck der Fremdartigkeit wich erst, als Jan die Abzweigung zum Stadtpark nahm, die in ihrem weiteren Verlauf zu seiner alten Heimat führte. Je näher Jan seinem ehemaligen Elternhaus kam, desto vertrauter wurde alles. Hier sah noch vieles wie früher aus. Noch immer wirkte der Stadtpark groß und weitläufig. Durch das Geäst der kahlen Bäume schimmerte die novembergraue Fläche des Fahlenberger Weihers.
    Jan versuchte,
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