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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur
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zu kramen, und auch Jeff schien zu dem Schluss zu kommen, dass er keine Auseinandersetzung wollte. Zwar funkelte er Joe noch immer an, zog aber seine Brieftasche aus der Weste.

    Joe überprüfte die Angelscheine. Sie waren tadellos. Die Frau kam aus Colorado und besaß nur eine zeitlich begrenzte Angellizenz. Jeff O’Bannon kam aus der Gegend, obwohl Joe sich nicht erinnern konnte, ihn je gesehen zu haben. Der Mann wohnte an der Red Cloud Road, in einem der Anwesen im Ranchstil, die für 500 000 Dollar das Stück südlich der Stadt in einem Neubaugebiet errichtet worden waren. Das überraschte Joe nicht.
    »Wissen Sie, was hier so stinkt?«, fragte er im Plauderton und gab den beiden die Angelscheine zurück.
    »Ein toter Elch«, erwiderte O’Bannon missmutig. »Auf der Wiese da oben.« Er wies mit dem langen, spitzen Schild seiner Anglerkappe vage zwischen die Bäume im Westen hindurch. »Das ist einer der Gründe, warum wir jetzt gehen, verdammt.«
    »Jeff …«, mahnte ihn die Frau.
    »Es ist nicht verboten, verdammt zu sagen«, knurrte O’Bannon sie an.
    Joe spürte Ärger in sich aufsteigen. »Jeff, ich könnte mir vorstellen, dass ich Sie hier draußen bald mal wieder treffen werde.« Er beugte sich zu ihm vor. »So wie Sie sich aufführen, werden Sie früher oder später sicher etwas ausfressen. Und dann nehm ich Sie fest.«
    O’Bannon wollte schon auf ihn losgehen, doch die Frau hielt ihn zurück. Joe griff rasch in die Rückentasche seiner Weste und entsicherte die Dose mit Bärenspray.
    »Ach, scheiß drauf«, brummte O’Bannon. »Verschwinden wir. Der Kerl hat mir die Laune verdorben.«
    Cindy warf Joe hinter dem Rücken ihres Begleiters einen sichtlich erleichterten Blick zu und schüttelte entschuldigend den Kopf. Joe trat beiseite, als O’Bannon mit Cindy im Schlepptau an ihm vorbeistürmte.

    »Tschüss, Mädchen«, rief sie Sheridan und Lucy zu. Die beiden blickten dem Paar nach, wie es flussabwärts davonzog. Jeff stapfte fluchend vorneweg und bahnte sich seinen Weg durchs Geäst, während Cindy Mühe hatte, Anschluss zu halten.
    »Dad, können wir auch gehen?«, fragte Lucy. »Hier stinkt’s.«
    »Setzt euch etwas flussabwärts ans Ufer, wenn ihr wollt«, antwortete Joe. »Ich muss mir den Elch ansehen.«
    »Wir kommen mit!« Lucy hielt sich noch immer die Nase zu. Joe wollte widersprechen, bemerkte dann aber, dass O’Bannon auf der nahe gelegenen Lichtung stand und ihn durch die Kiefern anfunkelte und seine Begleiterin ignorierte, die ihn am Arm weiterziehen wollte.
    »Gut«, sagte Joe, denn es war sicher das Beste, seine Mädchen in der Nähe zu behalten.

    Der Elch war nicht schwer zu finden. Sein Anblick erschütterte Joe. Der ausgewachsene Bulle lag im knöcheltiefen Gras, an drei Seiten von dunklen, dicht stehenden Bäumen umgeben. Das Tier war zu nahezu doppelter Größe aufgebläht, seine blaurot gefleckte Haut zum Bersten gespannt. Zwei erstaunlich lange, schwarze Läufe mit wulstigen Gelenken hingen in der Luft wie die Beine eines umgekippten Stuhls. Der halb vom Gras verborgene Kopf mit dem vorquellenden, weit aufgerissenen Auge, das jeden Moment aus der Höhle zu springen drohte, schien ihn mit gebleckten Zähnen heimtückisch anzugrinsen.
    Joe drehte sich auf dem Absatz um und befahl den Mädchen, stehen zu bleiben, um ihnen den Anblick zu ersparen, doch zu spät.
    Lucy kreischte und schlug die Hände vor den Mund. Sheridan kniff die Lippen zusammen und riss die Augen weit auf.
    »Er lebt!«, schrie Lucy.
    »Tut er nicht«, widersprach Sheridan. »Aber es stimmt was nicht mit ihm.«
    »Bleibt, wo ihr seid. Rührt euch nicht vom Fleck.« Joe zog ein Halstuch aus der Jeans, band es sich vor Nase und Mund wie ein Straßenräuber und näherte sich dem geblähten Kadaver. Sheridan hatte recht: Etwas stimmte nicht mit dem Tier. Für einen Augenblick befiel ihn ein kurzer Schwindel, als hätte er sich zu rasch bewegt. Er blinzelte. Schwach glitzernde Sterne trieben langsam durch sein Gesichtsfeld.
    Er schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen, und umrundete den Kadaver in einem Meter Abstand. Das Tier war verstümmelt: Genitalien, Moschusdrüsen und After waren entfernt – und auch das halbe Gesicht, sodass der halb nackte Schädel mit langen, gelben Zähnen zu grinsen schien. Die Schnitte waren glatt und mit nahezu chirurgischer Präzision ausgeführt. Joe konnte sich nicht vorstellen, dass ein Tier solche Wunden schlug. Das bloßliegende Fleisch hatte sich
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