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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur
Autoren: authors_sort
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tot wie die andere, denn sie lag auf der Seite und schillerte in allen Farben des Regenbogens. Demnächst würde auch dieser Fisch mit aufwärts gekehrtem Bauch im Wasser treiben. Er war nicht so groß wie der erste, aber dennoch beeindruckend.
    Sheridan war aufrichtig empört.
    »Es macht mich wütend, dass jemand diese Fische tötet«, sagte sie mit blitzenden Augen. Joe gefiel das ebenso wenig,
doch er war von ihrer Entrüstung beeindruckt, obwohl er nicht wusste, ob ihr Zorn aus ethischen Überzeugungen herrührte, oder ob sie sich darüber ärgerte, dass jemand Fische tötete, von denen sie meinte, sie hätte sie zu fangen verdient.
    »Erkennst du, woran sie gestorben sind?«, fragte sie.
    Diesmal ließ er Maxine die Forelle apportieren. Der Labrador stürzte sich mit solcher Wucht ins Wasser, dass sie ganz nass gespritzt wurden, und kehrte mit dem Fisch im Maul zurück. Joe befreite ihn aus den Fängen der Hündin und drehte ihn auf der Hand nach links und rechts. Er konnte an dem Tier nichts Ungewöhnliches entdecken.
    »Wenn ich einen Reh- oder Wapitikadaver finde, suche ich nach Schusswunden«, sagte er, »doch an diesen Tieren kann ich keine Verletzungen oder Krankheiten entdecken. Vielleicht sind die beiden Fische in Panik geraten und haben einen Herzschlag erlitten, als sie gefangen wurden.«
    Sheridan schnaufte enttäuscht und ging mit großen Schritten flussaufwärts. Joe warf den Fisch in ein Weidengebüsch hinter seinem Rücken, wartete darauf, dass Lucy angetrottet kam, und tastete dabei nach seiner Dienstwaffe, einer schweren, halbautomatischen .40er Beretta, die in der Rückentasche seiner Angelweste verborgen war. Auch Dienstabzeichen und Plastikhandschellen hatte er dabei. Zwar war er nicht im Dienst, doch als Jagdaufseher war er verpflichtet, jederzeit für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen.
    Am Morgen hatte er beim Packen das Arsenal in seiner Weste um einen Gegenstand außer der Reihe erweitert: Bärenspray. Durch den Stoff hindurch trommelte er mit den Fingern auf die große Dose. Dieses Gas war ein fieses Zeug, zehnmal so stark wie das Pfefferspray, mit dem man menschliche Angreifer abwehrte. Ein Sprühstoß davon ließ einen selbst auf größere Entfernung in die Knie gehen. Joe dachte
an die vielen Berichte und seltsamen Mails, die er über einen gefährlichen, zweihundert Kilo schweren Grizzly erhalten hatte, der im Nordwesten Wyomings enorme Verwüstungen anrichtete. In den letzten vier Wochen hatte das Tier Autos, Zeltplätze und Hütten beschädigt, doch bisher war es zu keiner Begegnung zwischen Bär und Mensch gekommen. Das schwächer werdende Signal des Funkhalsbands hatte es anfangs erlaubt, das Tier nahe der Osteinfahrt zum Yellowstone Park zu orten, doch es war noch immer nicht gesichtet worden. Als die »Bärenjungs« – Mitarbeiter der Jagd- und Fischereibehörde von Wyoming sowie Experten des Bundesnaturschutzamts  – den Grizzly hatten bremsen wollen, war er ihnen entwischt und sie hatten das Signal verloren. Joe konnte sich an keinen vergleichbaren Vorfall erinnern. Es war wie die Wildnisversion einer Sträflingsflucht. Genau wie die Biologen machte er die Trockenheit dafür verantwortlich – und das daraus resultierende Bedürfnis des Tieres, bei der Suche nach Essbarem immer weitere Gebiete zu durchstreifen. Dass der Bär den Schadensberichten zufolge nach Osten durch den Shoshone-Bundesforst zog, war ihm nicht entgangen. Wenn er diese Richtung beibehielt, würde er in die Bighorns gelangen, wo es seit achtzig Jahren keine Grizzlys mehr gegeben hatte.
    Es gefiel Joe nicht, an seinem freien Tag Waffe und Dienstabzeichen mitzuführen. Ihm behagte nicht, dass seine Töchter beim Angeln und beim Braten des Fangs überm offenen Feuer seine tägliche Ausrüstung sahen. Es war etwas anderes, wenn er im roten Chamoislederhemd der Jagd- und Fischereibehörde und im grünen Pick-up in seinem Revier unterwegs war, um Jäger und Angler zu kontrollieren. Im Moment wollte er einfach nur Dad sein.

    Ein Stück flussaufwärts stießen sie auf eine zweite Gruppe. Sheridan bemerkte sie als Erste, blieb stehen und blickte sich zu Joe um. Der sah Farben durch die Bäume blitzen und hörte ein Husten.
    Dann drehte der Wind, und ein seltsamer Geruch drang ihm in die Nase. Es stank eklig süß und metallisch, und er zuckte zusammen, als eine besonders intensive Schwade heranwehte.
    Joe vergewisserte sich, dass Lucy ihnen immer noch folgte, und zwinkerte Sheridan zu,
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