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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur
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Ordnung.«
    »Schatz …«
    Joe hob die Hand. »Mach dir keine Sorgen. Deine Arbeit hat dich aufgehalten. Schon okay.«
    Einen Moment lang glaubte er, sie werde in Tränen ausbrechen. Das geschah in letzter Zeit immer öfter. Doch stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe und sah ihn an.
    »Wirklich«, wiederholte er.

    Joe säuberte hinterm Haus den Grillrost und kämpfte gegen seine Enttäuschung darüber an, dass seine Frau nicht mal Vorbereitungen für das Abendessen getroffen hatte. Wie so oft in letzter Zeit schlug er sich mit wachsenden Sorgen um Marybeth und seine Ehe herum. Zweifellos hatte der gewaltsame Tod ihrer Pflegetochter April im letzten Winter ihr sehr zugesetzt. Joe hatte gehofft, das Ende der Kälte würde ihr helfen, darüber hinwegzukommen, doch dem war nicht so. Der Frühling hatte nur die Erkenntnis gebracht, dass ihre allgemeine Lage sich nicht geändert hatte.

    Mitunter ertappte er sie dabei, wie sie vor sich hin starrte, den Blick aufs Fenster oder irgendetwas gerichtet, das zwischen der Scheibe und ihren Augen zu sein schien. Ihr Gesicht wirkte dabei leicht wehmütig. Ein paarmal hatte er gefragt, woran sie dachte, doch sie hatte nur den Kopf geschüttelt, als verjagte sie unliebsame Gedanken, und geantwortet: »An nichts.«
    Er wusste, dass ihr die Finanzlage der Familie nicht weniger zusetzte als ihm. In Wyoming herrschte eine Haushaltskrise, die Gehälter der Staatsdiener waren eingefroren. Joe musste deshalb auf unabsehbare Zeit mit einem Jahresgehalt von 32 000 Dollar auskommen. Wegen seiner langen Arbeitszeit war an einen Nebenerwerb auch nicht zu denken. Die Behörde stellte ihm Dienstwohnung und Ausrüstung, doch in den letzten Monaten kam ihnen das Haus, das ihnen einst so traumhaft erschienen war, wie eine Falle vor.
    Nach Aprils Tod hatten Joe und Marybeth über ihre Zukunft gesprochen und waren übereingekommen, dass sie jetzt vor allem Normalität und einen geregelten Alltag brauchten. Glaube und Hoffnung kämen schon von selbst zurück, weil sie starke Menschen waren und einander liebten, und die Zeit würde alle Wunden heilen. Joe hatte versprochen, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen oder sich in einem anderen Distrikt zu bewerben. Ein Tapetenwechsel konnte helfen, auch darin waren sie sich einig. Doch in letzter Zeit hatte er sich, wenn auch von schlechtem Gewissen geplagt, nicht einmal mehr halbherzig um andere Stellen gekümmert, weil er seinen Beruf liebte.
    Marybeth war nicht mehr ihrenTeilzeitbeschäftigungen in Bibliothek und Pferdestall nachgegangen. Sogar kombiniert waren diese Jobs zu schlecht bezahlt und bedeuteten zu viel sozialen Kontakt. Es war ihr unangenehm, von Nutzern der
Bücherei gemustert und nach April und den Umständen gefragt zu werden, die zu ihrem Tod geführt hatten.
    Doch sie brauchten zusätzliche Einkünfte, also hatte sie im Sommer ein Gewerbe angemeldet und Buchhaltung, Büroorganisation und Lagerbestandsführung für kleine Firmen in Saddlestring übernommen. Joe fand das ideal, da sie ihre Ausbildung, ihr Durchsetzungsvermögen und ihr Organisationstalent so voll zum Einsatz bringen konnte. Bisher hatte sie Barretts Apotheke, den Präparator Sandvick, das örtliche Schnellrestaurant und das Immobilienbüro Logue betreut. Marybeth arbeitete hart, um sich zu etablieren, und ihr Büro stand kurz vor dem Durchbruch.
    Daher fühlte er sich nur umso schlechter, dass er wegen des ausgefallenen Abendessens wütend auf sie gewesen war.

    »Was war das mit dem Elch genau?«, hakte Marybeth beim Spülen nach. Joe war erstaunt, denn Sheridan und Lucy hatten den Vorfall beim Abendessen so plastisch und detailliert beschrieben, dass Joe sie gebeten hatte, damit aufzuhören.
    »Wie kommst du jetzt darauf?«
    Sie lächelte verschmitzt. »Die letzte Viertelstunde hast du daran gedacht.«
    Er wurde rot. »Woher weißt du das?«
    »Du starrst die ganze Zeit vor dich hin und trocknest dieses Glas jetzt zum vierten Mal ab«, erwiderte sie grinsend. »Ich seh doch genau, dass du mit den Gedanken ganz woanders bist.«
    »Ganz schön unfair, dass du mich so durchschaust. Ich weiß nie, woran du denkst.«
    »So gehört sich’s auch«, sagte sie und stieß ihn übermütig mit der Hüfte an.

    »Die Mädchen haben das Ganze recht genau beschrieben. Da gibt’s wenig zu ergänzen.«
    »Und warum beschäftigt dich die Sache so?«
    Er ließ Wasser über einen Teller laufen, stellte ihn aufs Trockengestell und hielt inne. »Ich habe viele tote Tiere
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