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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur
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gesehen.« Er sah sie über die Schulter an. »Und leider auch einige tote Menschen.«
    Sie nickte.
    »Aber alles an diesem Kadaver war … anders. Komplett anders.«
    »Weil du nicht feststellen konntest, wie die Wunden zustande kamen?«
    »Auch deshalb. Aber man findet einfach keinen toten Elch so mitten auf einer Wiese. Es gab keine Spuren und keinen Hinweis darauf, dass der Schütze sich seinem Opfer genähert hat. Selbst richtig üble Wilderer, die die Kadaver schlicht verrotten lassen, sehen sich an, was sie zur Strecke gebracht haben.«
    »Vielleicht war das Tier krank und ist gestorben«, wandte sie ein.
    Joe hatte sich umgedreht und lehnte an der Spüle. Das Geschirrtuch hatte er über seinen Arm gehängt.
    »Natürlich sterben laufend Tiere eines natürlichen Todes. Aber man findet sie nicht. Kann sein, dass man ein paar Knochen entdeckt, wenn die Aasfresser das Skelett nicht zu sehr verstreut haben, aber man stößt nicht auf Tiere, die an Altersschwäche verendet sind. Oder extrem selten. Sterbende Tiere ziehen sich dahin zurück, wo man sie nicht findet. Sie brechen nicht auf einer Wiese einfach so zusammen.«
    »Der Elch kann doch erschossen oder vom Blitz getroffen worden sein oder so.«
    »Bei einem Blitzschlag hätte es Verbrennungen gegeben.
Und ob das Tier erschossen wurde, finde ich morgen heraus. Doch mein Instinkt sagt mir, dass ich kein Blei entdecken werde.«
    »Vielleicht wurde es vergiftet?«, überlegte Marybeth.
    Joe schwieg kurz und betrachtete den Kadaver erneut vor seinem inneren Auge. Ihm gefiel, dass Marybeth sich mit ihm zusammen Gedanken darüber machte, was dem Elch widerfahren sein mochte. Ihr neues Gewerbe hatte sie so in Beschlag genommen, dass sie sich seit Langem nicht für das interessiert hatte, was er tat.
    »Auch dann hätte der Bulle sich zum Sterben in ein Versteck zurückgezogen. Es sei denn, das Gift wirkte so rasch, dass er einfach umfiel, doch das halte ich für unwahrscheinlich. Und diese Wunden …«
    »Du hast sie vorhin als Schnitte bezeichnet.«
    »Ja, das war Chirurgenarbeit, keine Metzelei. Soweit ich weiß, schlägt kein Tier so makellose Wunden. Und die abgeschnittenen Teile wurden entfernt – wie Trophäen.«
    Marybeth verzog das Gesicht. »Diese Trophäensammlung möchte ich wirklich nicht sehen.«
    Joe lachte unbehaglich und nickte.
    »Hört sich fast an, als wäre der Elch vom Himmel gefallen«, meinte Marybeth.
    »Oha«, stöhnte er, »ich hatte gehofft, du würdest das nicht sagen.«
    Sie stieß ihm einen Finger zwischen die Rippen. »Aber daran hast du doch auch gedacht, oder?«
    Das wagte er nicht abzustreiten, denn sie kannte seine Gedanken zu genau.
    »Ich kann kaum erwarten, was du rausfindest.« Sie griff ins Becken, um das Spülwasser abzulassen. »Soll ich meine Mutter fragen, was sie darüber denkt?«

    Joes entsetzter Blick brachte Marybeth zum Lachen, und er merkte, dass sie nur einen Scherz gemacht hatte. Ihre Mutter, die frühere Missy Vankueren, würde bald einen in der Nähe lebenden Rancher namens Bud Longbrake ehelichen. Neben ihrer erneuten Wiederverheiratung (sie war viermal geschieden) und der Erörterung der Frage, womit Joe das Potenzial ihrer Tochter Marybeth genau erstickt hatte, war es Missys größte Leidenschaft, Bücher und Sendungen über paranormale Phänomene zu konsumieren. Sie spekulierte liebend gern über Vorfälle im Twelve Sleep County und weltweit und führte sie auf übernatürliche Erklärungen zurück.
    »Erzähl ihr bitte nichts davon«, flehte er leicht übertrieben. »Du weißt, wie ich diesen Eso-Quatsch verabscheue.«
    »Apropos Eso-Quatsch …« Sheridan betrat die Küche, nachdem sie draußen gelauscht hatte. »Hab ich euch erzählt, dass ich wieder diesen Traum hatte?«

Drittes Kapitel
    Am nächsten Morgen, einem Montag, wanderte Joe den Crazy Woman Creek mit seinem Leichenschaukoffer hinauf und musste entdecken, dass der grinsende Elch nicht mehr da war. Für einen Augenblick stand er wie versteinert da und musterte das geknickte Gras. Sheridans Traum machte ihm zu schaffen. Joe weigerte sich, an Aliens, kriechenden Nebel oder Dinge zu glauben, die er nicht sehen oder berühren konnte. Schon immer war er überzeugt davon gewesen, dass es Ungeheuer und übersinnlichen Quatsch nicht gab. Er war immer Skeptiker gewesen und erinnerte sich gut daran, wie die anderen Kinder aus der Nachbarschaft sich um ein Ouija-Brett geschart und ihn gedrängt hatten, mitzumachen. Stattdessen war er Angeln gegangen.
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