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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen
Autoren: Tess Gerritsen
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gegen das Brustbein. Die Patientin blieb schlaff und bewegte sich nicht. »Keine Reaktionen auf Schmerzreize.
    Weder Extension noch sonstige.«
    Alle anderen Assistenzärzte waren vorgetreten, doch Abby blieb am Fußende stehen, sie hatte den Blick auf den bandagierten Kopf der Patientin gerichtet. Während Wettig mit seiner Untersuchung fortfuhr, mit einem Reflexhammer auf Sehnen schlug und Ellenbogen und Knie beugte, spürte Abby, wie ihre Aufmerksamkeit auf einer Welle der Müdigkeit davontrieb. Sie starrte weiter auf den Kopf der Patientin. Deren Haar war dicht und dunkelbraun gewesen, mit Blut und Glassplittern verklebt, bevor sie es rasiert hatten. Auch in ihre Kleidung hatten sich Splitter gegraben. In der Notaufnahme hatte Abby geholfen, die Bluse der Frau aufzuschneiden. Sie war aus blauer und weißer Seide mit einem Donna-Karen-Label.
    Es war diese Kleinigkeit, die in Abbys Gedächtnis haften geblieben war. Nicht das Blut und die gebrochenen Knochen oder das zerschundene Gesicht, es war das Label, Donna Karen.
    Das war eine Marke, die sie selbst schon getragen hatte. Sie dachte daran, daß diese Frau irgendwo, irgendwann in einem Laden gestanden und eine Reihe von Blusen durchgesehen haben mußte, während die Bügel leise quietschend über den Ständer glitten …
    Dr. Wettig richtete sich auf und sah die Schwester der Intensivchirurgie an. »Wann wurde der Bluterguß drainiert?«
    »Sie kam heute morgen um vier aus dem Aufwachraum.«
    »Vor sechs Stunden?«
    »Ja, das wären jetzt sechs Stunden.«
    Wettig wandte sich Abby zu. »Warum ist ihr Zustand dann unverändert?«
    Abby schreckte aus ihren Gedanken und bemerkte, daß alle sie ansahen. Sie blickte auf die Patientin und sah, wie sich deren Brust mit jedem Zischen des Beatmungsgeräts hob und senkte, hob und senkte.
    »Vielleicht … Es könnte sich um eine nach der Operation aufgetretene Schwellung handeln«, erklärte sie und blickte zum Monitor. »Der Schädeldruck ist etwas erhöht auf zwanzig Millimeter.«
    »Denken Sie, daß das hoch genug ist, um die Pupillenreaktion zu verändern?«
    »Nein, aber –«
    »Haben Sie sie unmittelbar nach der Operation untersucht?«
    »Nein, Sir. Sie wurde in die Neurochirurgie überstellt. Ich habe nach der Operation mit dem dortigen Assistenzarzt gesprochen, und er hat mir gesagt –«
    »Ich frage nicht den neurochirurgischen Assistenzarzt, ich frage Sie, Dr. DiMatteo. Sie haben einen subduralen Bluterguß diagnostiziert. Warum sind die Pupillen dann sechs Stunden nach der Operation noch immer weit und reaktionslos?«
    Abby zögerte. Der General beobachtete sie, genau wie alle anderen. Die demütigende Stille wurde nur durch das Zischen des Beamtungsgeräts unterbrochen.
    Dr. Wettig blickte gebieterisch in die Runde der Assistenzärzte.
    »Gibt es irgend jemanden, der Dr. DiMatteo bei der Beantwortung der Frage helfen kann?«
    Abby richtete sich auf. »Ich kann die Frage selbst beantworten.«
    Dr. Wettig wandte sich ihr mit hochgezogenen Brauen zu.
    »Ja?«
    »Die Veränderung der Pupillenreaktion und die Haltung der Extremitäten waren Zeichen für eine schwere Mittelhirnverletzung. In der vergangenen Nacht glaubte ich, die Ursache hierfür wäre der subdurale Bluterguß, der das Mittelhirn nach unten drückt. Aber da sich der Zustand der Patientin nicht verbessert hat, habe ich mich wohl … ich meine, ich vermute, daß ich mich geirrt habe.«
    »Sie vermuten?«
    Sie stieß einen Seufzer aus. »Ich habe mich geirrt.«
    »Und wie lautet Ihre Diagnose jetzt?«
    »Eine Blutung im Mittelhirn. Sie könnte durch die Scherkräfte verursacht worden sein oder durch eine den subduralen Bluterguß verursachende Schädigung der Hirnsubstanz. Die Veränderung hätte bei der Computertomographie noch nicht zu sehen sein können.«
    Dr. Wettig schaute Abby einen Moment lang mit undurchdringlicher Miene an. Dann wandte er sich den anderen Assistenzärzten zu. »Eine Blutung im Mittelhirn ist eine vernünftige Annahme. Zusammen mit einer Reaktion auf der Glasgow-Komaskala von eins …«, er warf einen Blick zu Abby und verbesserte sich dann, »eineinhalb, ist die Prognose ungünstig. Die Patientin hat keine spontane Atmung, keine Spontanbewegungen, und sie scheint alle zentralen Reflexe verloren zu haben. Im Moment habe ich keine anderen Vorschläge als die Durchführung aller lebenserhaltenden Maßnahmen. Außerdem rege ich an, sie als Organspenderin in Betracht zu ziehen.« Er nickte Abby kurz zu und ging dann zum nächsten
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