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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten
Autoren: Ralph Westerhoff
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Wochenenden oder Feiertagen Dienst hatte. Weil ich die Belastungen kannte, hatte ich mein Leben seit ewigen Zeiten diszipliniert organisiert. Früh aufstehen, früh ins Bett gehen, wenig feiern, keine Alkohol- und schon gar keine Drogenexzesse. Mal ehrlich, Herr Kollege: In unserem Alter muss man sich doch nicht mehr die Nächte um die Ohren schlagen, oder?«
    »Auf meine Meinung kommt es hier weniger an. Aber ich beginne, Sie zu verstehen. Erzählen Sie weiter.«
    »Ich wiederum hatte Probleme mit der Tätigkeit, die Wiebke ausführte. Die ganze Gewalt, die ich verabscheue, diese gewissenlosen Täter, die hilflosen Opfer. Natürlich hat Wiebke mir alles erzählt. Ich war ja schließlich ihr Partner, später sogar ihr Mann. Ich habe es sie nie spüren lassen, aber allein die Erzählungen haben mich sehr belastet. Zunächst hatte ich niemanden, dem ich mich anvertrauen konnte.«
    »Ich denke, Ihr Bruder war für Sie da?«
    »Daniel lebte lange Jahre nicht in Deutschland. Erst einige Wochen nachdem Wiebke und ich ein Paar geworden waren, rief er mich an. Er hatte bei einer Reederei in Hamburg angeheuert und war deshalb alle paar Wochen in Deutschland. Daniel habe ich alles erzählt. Er verstand mich, er war meine Stütze. Sicher habe ich ihn auch als seelische Deponie missbraucht. Das muss ich leider sagen.«
    »Hatten Sie nicht befürchtet, dass Daniel zu Gewaltexzessen neigen könnte?«
    »Wir hatten eine schwere Kindheit, Daniel und ich. Unsere Eltern Rabeneltern zu nennen wäre eine Beleidigung für alle Raben. Mein Vater war ein Säufer und Schläger. Damit meine ich nicht eine Ohrfeige ab und zu. Regelrechte Prügelorgien hat er veranstaltet. Ich hatte Glück. Mich mochte er wohl ein bisschen. Daniel hingegen hat er grün und blau geschlagen. Auch meine Mutter war sein Opfer. Aber sie hielt immer zu ihm.«
    »Verstehen Sie Ihre Mutter?«
    »Nein. Wir waren doch ihre Kinder, die sie zu beschützen hatte. Sie schützte nicht ihr eigen Fleisch und Blut, sondern hielt zu dem Schläger. Daniel und ich haben das nie verstanden.«
    »Deshalb auch Ihre Haltung ›Blut ist dicker als Wasser‹?«
    »Möglich. Da waren aber nicht nur die Schläge. Daniel musste zuschauen, wie unsere Eltern es trieben. Unser Erzeuger wollte das. Manchmal holte er sich Daniel noch dazu. Mein Bruder musste widerliche Sachen machen. So lecken, und dann musste er sich hinknien und –«
    »Ist gut, Herr Kollege, ich kann es mir vorstellen. Haben Sie das alles gesehen?«
    »Die Schläge ja, manchmal. Die Szenen im Schlafzimmer hat Daniel mir erzählt, wenn wir allein waren. Eines Tages ist er ausgerastet. Daniel war immer kräftig. Und so hat er dann eben seine eigene Rache ausgelebt.«
    »Können Sie ihn verstehen?«
    »Das ist eine schwere Frage, Herr Kollege. Einerseits ist es unverzeihlich, was Daniel damals – und jetzt leider wieder – getan hat. Kein Unrecht auf der Welt kann durch ein anderes Unrecht beseitigt werden. Aber wenn man sieht, mit welchen Glacéhandschuhen so manche Verbrecher angefasst werden, ist eine gewisse Wut nachvollziehbar. Damit wir uns richtig verstehen: Ich will Daniels Taten nicht entschuldigen. Aber das Motiv ist sicher nachvollziehbarer als bei einem, der seine Großmutter wegen ihrer Ersparnisse umbringt.«
    »Das stimmt wohl. Aber bevor wir mit Daniel weitermachen, würde mich noch eines interessieren. Sie sagten eingangs, dass zwischen Ihnen und Wiebke zwei Dinge stünden. Das eine waren Ihre Berufe. Und das andere?«
    »Das ist sehr persönlich, Herr Professor.«
    »Ich weiß. Sie müssen nichts sagen. Aber ich muss mir, um eine weitere Zusammenarbeit befürworten zu können, ein umfassendes Bild machen.«
    Thomas nickte. »Also gut. Es war das Körperliche. Bei mir spielt das, was man insgesamt wohl unter ›Sex‹ versteht, nicht die entscheidende Rolle in einer Partnerschaft. Sicher will ich auch mal mit einer Frau schlafen. Aber dieses Rumgetue, dieses widerliche Spielen an den Geschlechtsteilen, diese übel riechenden Körperflüssigkeiten, das Stöhnen, die völlige Selbstaufgabe. Nein, das kann ich nicht. Das will ich auch nicht.«
    »Und Ihre Frau wollte das?«
    »Sie hat sich dazu nie geäußert. Aber ich habe sie mal beobachtet, wie sie in ihr Zimmer ging, nachdem wir miteinander geschlafen haben. Wissen Sie, was sie da getan hat?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Sie hat einen Plastikpenis in sich reingeschoben und sich dann benommen, als ob sie unter Drogen stehen würde. Sie musste sogar
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