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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten
Autoren: Ralph Westerhoff
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verhaftet hat. Und dass er versucht haben soll, Wiebke zu töten.«
    »Können Sie sich denn vorstellen, warum er das getan hat?«
    »Weil er sie nicht mochte.«
    »Herr Kollege! Wenn wir jeden Menschen umbringen würden, den wir nicht mögen, wo kämen wir denn da hin? Für alle Morde hatte Ihr Bruder ein nachvollziehbares Motiv. Sogar der Mord an dem Rentner ist zwar nicht entschuldbar, aber nachvollziehbar. Er wollte einen Zeugen beseitigen. Warum aber seine Schwägerin?«
    »Er wollte mich schützen.«
    »Wovor?«
    »Vor ihr. Er war der Meinung, sie sei nicht gut für mich. Sie sei, wie er es ausdrückte, eine Schlampe, die mich in den Abgrund ziehen würde. Und in gewisser Weise stimmte das ja auch, selbst wenn ich das nie wirklich wahrhaben wollte.«
    »Wie meinen Sie das? Sie meinen doch wohl nicht die von Ihnen beobachtete Selbstbefriedigung, von der Sie gerade erzählt haben?«
    »Natürlich nicht. Aber es geht in die Richtung. Am Tag meiner Hochzeit erhielt ich einen Anruf aus der Klinik. Ein Notfall, der meine sofortige Präsenz erforderte. Ich bin natürlich schnellstens los. Daniel hatte sich mit Wiebke so gründlich zerstritten, dass er nicht zur Hochzeit eingeladen war. Ich bin also zur Klinik, und unsere Hochzeitsgäste begannen, sich – auf meine Kosten übrigens – hemmungslos zu betrinken. Dann schlief meine Frau mit Günter Menn, dem Oberstaatsanwalt. Daniel, der es nicht verwinden konnte, nicht eingeladen worden zu sein, schlich die ganze Zeit um das Hotel und hat es beobachtet.«
    »Das hat er Ihnen dann erzählt?«
    »Ja, im Zusammenhang mit seiner Generalbeichte.«
    »Sind Sie denn froh, dass Ihre Frau gerettet werden konnte?«
    »Selbstverständlich bin ich das. Ich bin sogar ein wenig traurig, dass sie sich weigert, mich zu sehen. Ich würde ihr gerne ein paar Dinge erklären. Sie würde es verstehen, da bin ich sicher.«
    »Natürlich.«
    »Herr Professor, ich bin noch ein wenig geschwächt und würde mich jetzt gern auf mein Zimmer zurückziehen. Spricht etwas dagegen?«
    »Keinesfalls, Herr Kollege. Gute Besserung.«
    »Noch eins, Herr Professor«, sagte Thomas im Gehen.
    »Ja?«
    »Lassen Sie mich wieder in Ihrer Klinik arbeiten?«
    »Das entscheide ich nicht allein. Wir müssen Geduld haben.«
     
    Fassungslosigkeit hatte sich in dem Raum hinter dem venezianischen Spiegel breitgemacht.
    Wiebke, Randolf und Günter blickten einander gleichzeitig sprachlos, entgeistert und entsetzt an. Die Tür öffnete sich und Professor Schwindhelm erschien.
    »Ich bin ja nur froh, dass Sie ihn nicht noch zu einem Absacker in der Klinik-Bar eingeladen haben«, ätzte Randolf. Günter legte ihm beruhigend seine Hand auf die Schulter.
    Wiebke trocknete ihre Tränen.
    »Danke, Herr Professor, dass Sie uns die Gelegenheit gegeben haben, hier zuzusehen. Ich weiß, dass Sie dazu nicht verpflichtet sind«, sagte Günter.
    »Ich hatte das Gefühl, dass die Klinik Ihnen das schuldig ist, nach allem, was passiert ist.« Nervös putzte Professor Schwindhelm seine Brille. »Bitte nehmen Sie Platz.«
    »Ich will Ihnen mal was sagen«, regte sich Randolf auf. »Ich habe gerade der Schwafelei dieses Mannes zuhören müssen, der nachweislich sechs Menschen bestialisch umgebracht hat, seine eigene Frau in der Ostsee ersäufen wollte und jetzt von Ihnen höflich als ›Herr Kollege‹ angesprochen wurde. Ich kann nicht glauben, dass der sich seit Wochen in Ihrer Klinik ein schönes Leben macht. Der gehört in den Knast! Und Sie sind auch noch nett und freundlich zu so jemandem.« Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch. Das Rondell mit den Gläsern und der Mineralwasserflasche wackelte bedenklich.
    »Das sehen Sie falsch«, erwiderte der Professor unglücklich.
    »Was sehe ich falsch?«, fragte Randolf drohend.
    »Sie haben nicht den Mann gesehen, der ein Mörder war. Der Mörder war Daniel, nicht Thomas.«
    »Es gibt keinen verdammten Daniel«, brüllte Randolf. »Ich habe den Lebenslauf von Thomas Schulte geprüft. Glauben Sie mir, dass ich davon was verstehe. Jetzt mal zum Mitschreiben: Thomas Schulte wurde am 7. Dezember 1959 als Thomas Rückert in Winsen an der Luhe als einziges, ich betone, als einziges Kind der Eheleute Konrad und Felicitas Rückert, geborene Claussen, geboren. Sein Vater war Bauhilfsarbeiter, meist arbeitslos, weil arbeitsscheu und Säufer. Er war als gewalttätig bekannt, die Mutter als schwache Persönlichkeit. Mehrere Verdachtsanzeigen lagen gegen Vater und Mutter wegen Missbrauchs
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