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Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Titel: Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte
Autoren: Stefanie Maucher
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uns, so hast Du mich wissen lassen, erst dann treffen, wenn der Hauptakt schon begonnen hat. Abseits. Dort, wo zu diesem Zeitpunkt niemand sein wird. Die Dämmerung wird bis dahin der Nacht gewichen sein, sodass wir abseits des Scheinwerferlichts, auf der dunklen Seite des Big Wheels , ungesehen bleiben. Allein zu zweit, neben 20.000 Menschen.
    Ich setze den Plastikbecher, der mich drei Euro Pfand gekostet hat, mit dem noch immer leicht schäumenden Getränk an die Lippen, trinke durstig. Während ich einen großen Schluck nehme, beginnt es an meinem Oberschenkel fordernd zu vibrieren. Ich verschlucke mich, ein kalter Schwall rinnt hastig an meinem Kinn entlang. Gerade noch fange ich ihn ab auf seinem Weg in mein Dekolleté, wo er einen hässlichen Fleck auf dem Oberteil hinterlassen hätte. Ich wische mir die nun klebrig-nasse Hand an meiner Jeans ab, bevor ich das Telefon aus der Hosentasche zerre und Deine Nachricht lese.
    Wo bist Du?
    Weshalb hast Du es so eilig? Willst Du mich schon jetzt treffen, bevor ich es mir während der Wartezeit doch noch anders überlege? Hast Du Angst, dass ich einen Rückzieher mache? Ich schaue mich um. Stände wie diesen gibt es hier viele. Mir kommt ein Gedanke, der mir nicht behagt: Wie sehr meine Mähne heraussticht, selbst aus dieser Menschenmasse. Dass Du mich, wenn ich Dir schreibe, wo ich bin, finden und beobachten kannst, obwohl ich Dich noch nicht sehe.
    Mein Stand befindet sich rechts unterhalb vom Mosquito , einem gigantischen Raupensäulenschwenkbagger, zu dem ein paar Treppen emporführen. Ein mächtiges Monstrum aus Stahl, das keineswegs an eine winzige Stechmücke erinnert. Dorthin quetsche ich mich nun durch, steige ganz nach oben und setze mich in den Schatten der gewaltigen, über die Stufen hinausragenden Eimerkette, die ein rostiges Zeugnis ihrer Existenz auf dem Betonboden unter mir hinterlassen hat. Hier wird mein rotes Haar weniger wie ein Signalfeuer leuchten, und darüber hinaus habe ich einen guten Überblick. Also nehme ich mein Handy und gebe Dir die Position des Getränkestandes durch, den ich von hier oben gut sehen kann.
    Während mein Blick über die Menschen unter mir gleitet, Ausschau nach einem Neuankömmling haltend, der offensichtlich auf der Suche ist, schweifen meine Gedanken ebenfalls umher.
    Die Gefühle, die Du in mir auslöst, sind unbeschreiblich. Sie lodern in mir, wie ein alles verzehrendes Feuer, das nur mit Deinem Lebenssaft gelöscht werden kann. Noch einmal kommt mir die SMS in den Sinn, die ich Dir früher am Tag geschickt habe. Die mit dem Bild, welches Dir so gut gefallen hat. Die Erleichterung, die ich empfand, als endlich Deine Antwort eintraf. Ich war erleichtert, weil Du, so wenig wie bei unseren vorangegangenen Chatgesprächen, nicht gemerkt hast, dass Du es längst nicht mehr mit dem erst vierzehnjährigen Mädchen zu tun hast, mit dem Du vor Monaten zum ersten Mal in Kontakt getreten bist. Kurz nach ihrem Geburtstag, zu dem ihr der liebevolle Großvater einen eigenen Laptop geschenkt hatte. Chatten mit Klassenkameraden, ein paar Musikvideos anschauen auf YouTube. Was ist schon dabei , dachte ich damals und überließ ihr das Gerät sorglos.
    Nein, Du redest schon lange nicht mehr mit meiner kleinen Tochter, deren Naivität Du ausgenutzt hast. Die Du überredet hast, sich auszuziehen, vor der Webcam und vor Dir. Mit dem Kind, das keine Erfahrungen im Umgang mit Raubtieren wie Dir hat, auch wenn sie reif wirkt für ihr Alter. Du kannst nicht ahnen, dass dieses Kind eine Löwenmutter mit erstaunlich jugendlichen Zügen hat. Freunde sagen oft, dass wir einander wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Ich sehe ein Jahrzehnt jünger aus, als ich wirklich bin, und mit dem entsprechenden Make-up wirke ich noch immer wie eine Minderjährige, die versucht, ohne Begleitperson in eine Disco zu kommen. Die neue Frisur verstärkt den Eindruck noch. Offenbar siehst Du das genauso, sonst hättest Du Verdacht geschöpft und abgesagt.
    Vielleicht wäre ich nicht so wütend auf Dich, wenn Du es dabei belassen hättest. Wenn Du mein experimentierfreudiges Kind in Ruhe gelassen hättest, als es die Lust am Spielen mit Dir verlor. Nach den ersten Malen, zu denen ihre Neugier sie trieb und bei denen sie sich nie ganz wohl in ihrer Haut gefühlt hatte, war ihr die Lust auf erotische Webcam-Treffen mit Dir vergangen. Die romantischen Gefühle, verursacht durch Deine Schmeicheleien und Komplimente, waren schnell verflogen: Kaum dass sie Dir gegeben
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