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Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Titel: Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte
Autoren: Stefanie Maucher
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entschlossen die Schultern. Das Abendrot weicht der nächtlichen Dunkelheit, vor der sich der beleuchtete Stahlriese scharfkantig und imposant abhebt.
    Ein letztes Mal atme ich tief durch, schöpfe Kraft aus meinem Zorn und den heranklingenden Tönen und stimme, während ich loslaufe, in den Kampfgesang mit ein: „ Someone call the ambulance, there's gonna be an accident. I'm coming up on Infrared, there is no running that can hide you, 'cause I can see in the dark …”
    Der schnelle Bass-Lauf treibt mich an, und schließlich renne ich fast, nun wieder zu allem entschlossen, den Hügel hinauf, zur Rückseite des Big Wheel . Dort angekommen, gehe ich im tiefen Schatten der 1.718 Tonnen Stahl hinter dem acht Meter hohen Förderrad in Deckung. Ich versuche zur Ruhe zu kommen, meinen Atem zu beruhigen und gleichzeitig in alle Richtungen Ausschau zu halten, damit Du Dich mir nicht unbemerkt nähern kannst. Aus welcher Richtung wirst Du kommen?
    Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, nur zögerlich normalisiert sich mein Herzschlag. Das Oberteil schnürt mich auf einmal viel zu sehr ein, erschwert mir das Atmen. Einen Moment lang frage ich mich, was ich eigentlich hier mache. Aufgetakelt auf den Tod warten? So viel ist sicher, weder Dein noch mein Plan sieht voraus, dass sämtliche Beteiligten den Tatort lebend wieder verlassen. Unklar scheint mir bislang nur, wer den Mörder spielen darf. Diese Hauptrolle scheint äußerst begehrt zu sein und ich werde alles daran setzen, dass ich sie bekomme.
    Der nächste Song beginnt. Die melodische Stimme des Sängers der namhaften Brit Popband klingt durch die Nacht. Und obwohl sie mir zuvor Mut gemacht hatte, fragt sie mich nun zweifelnd: „ Baby, did you forget to take your meds?”
    Vielleicht sollte ich mich tatsächlich lieber in der geschlossenen Abteilung einer Nervenheilanstalt ruhigstellen lassen, anstatt hier auf Dich zu warten?
    Ich muss verrückt sein.
    Obwohl es ein warmer Sommerabend ist, fröstelt es mich auf einmal. Ein kalter Schauer überläuft meinen Rücken. Du musst zur Polizei gehen , flüstert eine Stimme in mir, von der ich nicht sagen kann, ob es die der Angst oder Vernunft ist, du kannst das hier nicht …
    Ich bin kurz davor, mich umzudrehen und doch noch zu verschwinden, als sich herausstellt, dass es dazu bereits zu spät ist: Ich höre Deine Schritte, das Knirschen Deiner Absätze auf dem lockeren Kies. Fast unhörbar dank des Umgebungslärms, aber für mich mit meinen überreizten Sinnen doch deutlich wahrnehmbar.
    Ich erstarre, innerlich wie äußerlich, und beobachte, wie Du Dich suchend umblickst. Gebe keinen Laut von mir. Verschmelze mit der Nacht. Noch immer ist der Drang, mich in letzter Sekunde davonzuschleichen, mächtig. Ich überwinde meine Starre, ziehe mich, während Du in die andere Richtung schaust, ein paar Schritte weiter zurück, noch tiefer in den Schatten des mächtigen Stahlriesen. Kies knirscht unter meinen Stiefeln. Dein Kopf dreht sich in meine Richtung. Auch Deine Sinne scheinen wach und geschärft zu sein. Die leisen Geräusche, die mein Rückzug verursacht, ziehen Deine Aufmerksamkeit auf sich. Als wären sie die einsamen Schritte einer Kellnerin um drei Uhr nachts, die sich müde von der Arbeit nach Hause schleppt und deren halbhohes Schuhwerk weithin vernehmbare Signale in die düsteren Ecken schickt, in denen man sich lauernd verbergen kann.
    Du hast meine Bewegung bemerkt und mich entdeckt. Zielstrebig kommst Du auf mich zu. Ein paar Meter vor mir bleibst Du stehen, an einer Stelle, an der das schwache Licht einer einzelnen Notbeleuchtungslampe Dein Gesicht erhellt. Nah genug, um auszuschließen, dass Du nur ein zufällig vorbeikommender Konzertbesucher oder ein wachsamer Security-Angestellter sein könntest. Dein Gesicht und Dein Anzeigebild im Chatprogramm sind identisch. Deine Bewegungen haben längst alles Jugendliche und Schlaksige verloren und ich korrigiere Deine virtuelle Altersangabe nach oben: Anfang 20 bist Du längst nicht mehr. Ich denke, Du könntest gute 10 Jahre älter sein, als Du den Mädchen weismachen möchtest. Leider wirkst Du aber auch größer, massiger, als ich gehofft hatte. Deine Stimme ist männlich, sehr tief.
    „Schön, dass du gekommen bist, du kleine Maus!“, höre ich Dich sagen. „Lass dich mal ansehen!“
    Ihr Klang jagt erneute Schauer über meinen Rücken. Du hörst dich so erschreckend normal an. Zögernd mache ich ein paar Schritte heraus aus dem schützenden Schatten und
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