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Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte

Titel: Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte
Autoren: Stefanie Maucher
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brauchte Zeit, um das neue Wissen zu verkraften und einen klaren Kopf zu bekommen.
    Drei Tage später erzählte ich Dir, meine Mutter wäre in mein Zimmer gekommen und hätte mir das Gerät einfach weggenommen, weil es schon spät war. Es tut mir so leid , schrieb ich in das Chatfenster. Ich will doch nicht, dass Du böse auf mich bist.
    Wenige Sekunden später blinkte Deine Nachricht auf meinem Bildschirm: Dann habe ich einen Vorschlag für Dich.
    Ich kann mir denken, was Du vorhast, wozu Du fähig bist und welche Taten bereits auf Dein Konto gehen. Das betrachte ich als taktischen Vorteil. Du hingegen weißt nicht, wer ich bin, hast keine Ahnung, welcher Plan in mir gereift ist und ahnst nichts von dem Messer, das in meinem rechten Stiefel steckt, sicher und geborgen zwischen den zwei Paar Socken, die ich trage. Wie ich bereits sagte: Die Sicherheitskontrollen waren völlig unzureichend. Das sind sie bei solchen Veranstaltungen meistens, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Trotzdem war ich nervös und froh, als ich die Durchsuchung hinter mich gebracht hatte und den Risikofaktor, der Plan könnte schon am Eingang scheitern, endlich ausklammern konnte.
    Das Wissen um Deine wahre Natur hat etwas in mir verändert. Eine Überzeugung, die mir bislang völlig normal erschien, musste neu überdacht werden: „Du sollst nicht töten.“ Der Augenblick, in dem das bisher Hingenommene fragwürdig wird, ist der Geburtsmoment der Philosophie. Du hast mich zur Denkerin gemacht. Aber erwarte dafür keinen Dank von mir.

    Beim Gemini angekommen stelle ich fest, dass die Treppen nach oben gesperrt sind. An dem sechzig Meter langen Ausleger wurde eine riesige Leinwand befestigt, auf der man die Show, außer man stand in den vordersten Reihen, besser beobachten konnte als auf der Bühne selbst. Ein etwa zweieinhalb Meter breites Stück vor den Treppen hatte man ebenfalls abgesperrt, als Rettungsgasse. Gerade als ich den vermeintlich ruhigeren Ort erreicht habe, lässt mir ein furchtbarer Anblick das Blut in den Adern gefrieren: Sanitäter schieben eine blutüberströmte junge Frau auf einer Rolltrage an mir vorbei. In ihrem Oberschenkel steckt, wie ich entsetzt registriere, ein schmaler Flaschenhals, die gezackten Überreste einer grünen Glasflasche. Nicht braun, grün. Wie ihre Augen, die mich anstarren, während man sie an mir vorbeirollt. Dann öffnet sie den Mund und stößt einen gellenden, anklagenden Schrei aus. Der Geruch von Eisen liegt in der Luft. Ein junger Mann läuft neben ihr her, eine Zerreißprobe für die Nerven der Rettungshelfer, und ruft immer wieder: „Es war nur ein Unfall! Ich wollte dir doch nicht wehtun!“ Einer der Sanis packt ihn am Arm, drängt ihn zur Seite, während die anderen mit der Rolltrage weiterhasten. Hat er ihr das angetan? Seine Unschuldsbeteuerungen beschwören unwillkürlich das Bild meines Vaters in mir herauf, auch wenn der nie verzweifelt schien, nachdem er meine Mutter verprügelt hatte.
    Schockiert schaue ich ihnen hinterher, fühle mich benommen. Dennoch nehme ich jedes Detail wahr, das mit der Szene einhergeht. Das Grauen betäubt mich und schärft zeitgleich meine Sinne. Eins der Gummiräder verursacht ein quietschendes Geräusch. Das verletzte Mädchen trägt die gleichen Turnschuhe, die auch eine Freundin meiner Tochter besitzt. Die Band spielt weiter, der Song heißt The Kill . Unter den Bass-Lauf mischt sich schon das Heulen der Sirenen. Drei Mädchen links von mir tuscheln, eine davon wendet sich ab und kotzt, ein paar Meter weiter wird schon wieder im Takt der Musik getanzt und bei all dem empfinde ich nur eins: die Gewissheit, dass es richtig ist, was ich heute vorhabe. Menschliche Bestien, Männer wie Dich, muss man aufhalten.
    Bevor ich hierher kam, habe ich mich mit dem Plan des Geländes vertraut gemacht. Ich weiß, wenn ich mich nun nach rechts wende und dem mächtigen Auslegerarm folge, werde ich nach circa 80 Metern einen Weg erreichen, der hinauf zum Big Wheel führt.
    Der Auftritt der Vorgruppe nähert sich dem Ende und ich kämpfe mich vorbei an den herumstehenden Grüppchen, den Menschentrauben, die mich noch von diesem Pfad trennen. Ich ducke mich, nachdem ich mich versichert habe, dass niemand auf mich achtet, unter dem Absperrband hindurch. Dieses scheint dafür gedacht, die Horden der Tanzenden von dem gepflegten Rasen fernzuhalten, der sich noch zwischen mir und dem angestrahlten Stahlmonstrum erstreckt. Ich kürze über die Wiese ab, gehe im Schutz des
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