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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition)
Autoren: Christian Gallo
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Zumeist tat sie ihm leid, und er fand, sie verdiente sein Mitleid. Ohne ihr Wissen hatte man ihr das Funkflugzeichen ›Ghostflight‹ verpaßt, und das nicht nur ob ihrer selbstmörderischen Flugweise. Die Frau sah tatsächlich Gespenster. Sie wähnte sich von einem nebelhaften Luftschiff verfolgt.
Ghostflight.
Dorias Fehler war es gewesen, davon über Funk zu berichten. Damals haben eine Menge Leute Dorias Worte über einen durchsichtigen Zeppelin, der ihr erschienen war und sie verfolgte, gehört. Kurz darauf hatte ihr neues inoffizielles Funkzeichen die Runde gemacht, beginnend in den Militärkneipen und Offiziersclubs auf dem Luftwaffenstützpunkt Lyon. Diese Person, hieß es, gehörte eingewiesen, weggesperrt, auf jeden Fall degradiert, schon gar nicht an die Kontrollen eines Millionen Euro teuren Kampfjets. Makaber, das alles, fand Lewis. Ein Wunder, daß sie es nicht längst herausbekommen hatte, dieses
Ghostflight
-Ding. Wenn sie es irgendwann doch tun sollte, war Lewis sicher, sie würde sich die versammelte Mannschaft einem nach dem anderen vorknöpfen.
    Er senkte den Blick und schaute auf die Rahmendaten von Dorias Flug, wie Höhe und Geschwindigkeit. Und in genau diesem Moment gab Doria Vollschub und zog
Merlin
hoch. Das Flugzeug besaß eine Schub-Gewichtsrelation von zehn zu eins; es war phantastisch, die perfekte Harmonie zwischen Masse und Antrieb. Doria spürte dieses köstliche Ziehen in den Eingeweiden, als sie weiter beschleunigte. „Mach zwei-fünf.“
    Die Azoren fielen zurück. Es ging weiter nordwärts. Doria durchflog ein Wolkenfeld, und der Flug wurde rauher. Vor ihr erhoben sich zwei enorme Gewitterwolken mit einem riesigen Tal dazwischen. Doria gab Schub und stieg weiter. Bei dreißigtausend bremste sie ab und flog Zickzack zwischen den Wolkentürmen. Sie hing gerade kopfüber, als ein großer, transparenter Zeppelin aus dem Dunst schoß, sie kurz eskortierte und so schnell wieder verschwand, wie er erschienen war.
    Doria umklammerte den Steuerknüppel mit zitternden Händen, versuchte,
Merlin
in der Balance zu halten. Sie zwang sich zu tiefem Ein- und Ausatmen.
Erkenne das Problem; löse es. Identifizieren und korrigieren ...
Atmen ...
Okay. Du halluzinierst. Dort ist nichts.
Sie atmete weiter kräftig durch.
Reiß dich zusammen, Frau.
Ihre verkrampften Muskeln lockerten sich, und langsam verschwand ihre Panik. Sie blinzelte.
    „Irgendwelche Probleme? Dein Herz pumpt wie wild“, entnahm Lewis Dorias Biotelemetrie. Der Adrenalinstoß hatte ihren Puls beschleunigt, und rasende Herzen sind bei einem Hochgeschwindigkeitsflug über den Wolken grundschlechte Begleiter.
    „Alles bestens“, funkte Doria aufgesetzt lässig. Tatsächlich zwang sie sich weiterhin zur Ruhe. „Die Aussicht ist hier ist wirklich unglaublich!“
    „Okay“, sagte Lewis. „Behalte den Vibrationsmesser im Auge.“
    „Keine Sorge. Ich – Warte.“
    Lewis studierte die Anzeigen und dachte:
Was ist das Problem?
„Mach drei“, sagte er. „In Ordnung. Geh runter auf zwei und komm heim.“
    Rauschen, dann Doria, wie abwesend: „Ich sehe ... Orion. Echt wunderschön, Lew.“
    „Deine Höhe?“
    „Vierzig.“
    Lewis stockte. Doria hatte in sehr kurzer Zeit ziemlich viel Höhe gewonnen. Der Jet flog hervorragend, und Doria handhabte ihn perfekt. Bei allen Eskapaden, diese Frau leistete der Luftwaffe (und damit der privaten wie staatlichen Forschung, dem zivilen Luftverkehr und letztlich auch
AstroCom
) kostbare Dienste, und das oft unter Einsatz ihres Lebens – obwohl Lewis bei diesem Gedanken unwillkürlich die Leier von Doria Patrick, der Selbstmordkandidatin, einfiel. Gerüchte, Doria sehnte den Tod herbei und wünschte, es passierte auf einem ihrer Flüge, gingen herum.
    „
Merlin
, Flughöhe wiederholen“, funkte er.
    „Vierzigtausend Fuß, Lew. Was ist los bei euch?“
    Lewis dachte kurz nach.
Vierzigtausend. Hoch genug
, entschied er. „Okay.“ Er setzte sich aufrecht. „Komm jetzt zurück.“
    „Das Limit...“
    „Ist erreicht. Genug für heute.“
    Doria wurde ärgerlich. Einen Jagdflieger so weit zu bringen, war leicht. Die Kunst war, die Grenze zu überschreiten, sie neuzudefinieren. Darum ging es. Um das Fliegen. Den Preis, den man zu zahlen bereit war.
    „Ich sagte, das Limit ist erreicht.“
    Das ist es nie.
„Drei Punkt zwo“, meldete sie.
    „Du bekamst Order...“
    Sie pfiff auf die Order. Hier oben war sie frei. „Punkt drei.“
    „Doria!“
    „Und – Vier. Höhe jetzt Fünfzig.“
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