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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition)
Autoren: Christian Gallo
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langsamer fahre? Okay. Ich meine, ich beherzige es.“
    „Das hatten wir schon.“
    „Leute ändern sich. Ich kann mich auch ändern.“
    „Das ist es ja. Du mit deinen hochtrabenden Träumen.“
    Er wußte, worum es ging. Darum, daß Nazma nicht an ihn glaubte.
    Schweigen. Der Verkehr, seine grellroten Schlußlichter; die Luft; der vitale Sonnenschein...
    Er sagte: „Ich bin ein Idiot.“ In Wahrheit dachte er anders.
    Ihre Unterlippe knetend versuchte sie ihn zu durchschauen. Es gelang ihr. Kein Problem, nach all den Jahren.
    Corey sah sie an. Sie sagte nichts. Er fragte: „Was noch? Reicht das nicht?“
    „Eher nein.“
    Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Nazma, worum geht es hier?“
    „Sag du es mir.“
    „Nein, du wirst es mir sagen.“
    Sie zögerte. Beide wußten, worum es ging. „Das Schlimme ist...“ Sie sprach nicht weiter und dachte:
Ich schaff’s wieder nicht.
    Sie standen sich gegenüber. Autos zogen vorbei. Schleierwolken zogen vor die Sonne. Coreys Blick schweifte über die brüchige Lärmwand voller Graffitis. Er sah weiter zu einem Schuttberg. Er richtete seinen Blick auf seine Freundin, die wie gedankenversunken da stand, mit hängenden Schultern, die Arme eng am Körper. Sie allein wußte, was sie sah, dachte, welche Schlüsse sie zog.
    „Nazma?“
    „Keine Ahnung“, sagte sie lahm.
    „Warum steigst du nicht auf, und wir verschwinden von hier.“ Es war keine Frage. Corey bot ihr den Helm an.
    „Warum sollte ich?“
    „Was spricht dagegen?“
    „Viel.“
    „Und dafür?“
    „Verarsch mich nicht!“
    „Tu ich auch nicht.“
    Er lügt. Und ich lüge. Es ist sinnlos
.
    Er deutete ihr Schweigen als Zweifel. „Also kommst du mit?“
    Und dann? Aufsteigen, mitfahren, sich die Kunstflieger ansehen. Aber was dann, wie würde das Morgen aussehen? Wie Übermorgen? Sie liebte Corey und liebte ihn nicht. Was ließ sie bei ihm bleiben, was hielt sie davon ab zu gehen? Ihre Angst. Ihre Furcht vor dem Alleinsein, vor Veränderung. Ihre Verlustängste lähmten sie. Sie haßte sich dafür.
    „Nächstes Mal bin ich weg“, sagte sie.
    Aber jetzt nicht. Und wann wäre nächstes Mal? Bald. Alles lief darauf hinaus.
    „Wie du willst“, sagte er so aufrichtig er konnte.
    Sie trat einen Schritt zurück und blinzelte. „Ich glaube nicht, was du da losläßt!“
    Er log, sie schrie; er sagte die Wahrheit, und sie schrie auch. Er schwieg. Nichts passierte. Corey überlegte. Ihr Selbstvertrauen: eine glatte Lüge. Oder Selbsttäuschung. Eher das. Sie glaubte nur, die Initiative zu übernehmen, in Wahrheit gab sie das Heft des Handelns bereitwillig ab. Niemals übernahm sie die Verantwortung dafür, was ihrem Handeln geschuldet war. Das störte ihn am meisten. Sie begriff nichts.
    „Ich weiß sehr wohl, was ich sage“, entgegnete er ruhig.
    „Und?“
    „Was willst du hören?“
    „Sei nicht so scheißblind. Du mußt doch sehen, wohin das alles führt.“
    „Ich sehe es, Nazma.“ Wieder bot er ihr den Helm an. „Aber hier herumstehen und streiten wird nichts ändern.“ Er holte Luft. „Bitte, fahr mit mir dahin. Ich werde langsamer fahren, und tun, was du sagst. Wir werden sehen, wie es weitergeht.“ Es sprach leise und deutlich. „Aber jetzt laß uns bitte von hier verschwinden.“
    Nazma starrte auf das Unkraut zwischen den Betonplatten zu ihren Füßen.
    „Fahren wir?“, sagte Corey. Alles spielte sich für ihn mittlerweile in Zeitlupe ab, ein Schauspiel wie unter Wasser. Dann erstarrte das Wasser selbst. Er sah sich um. Die Wagen standen still, und ihrer Insassen waren wie in der Bewegung kristallisiert, mit offenen Mündern, erhobenen Händen, gestikulierend, ruhig dasitzend oder auch schlafend auf ihren Sitzen; der Wind war erstarrt, die Büsche standen reglos; Vögel und Wolken wirkten wie gemalt. Stille. Nur sein Herz hörte er schlagen, laut und gleichmäßig. Der Augenblick hielt an. Corey verfluchte es. Und er begriff: sein Leben stand still. Es war unnütz. Etwas hielt ihn ab von dem, was er eigentlich tun sollte. Und mit dieser Erkenntnis kam die Welt um ihn her wieder in Bewegungen. Lebendigkeit zog ein. Autos fuhren, Menschen handelten, Wolken und Vögel zogen weiter.
    Der Erdball drehte sich.
    Nazma sah ihn an.
Das Ende
, dachte sie.
Eine seltsame Vorstellung.
Es würde kommen, bestimmt, aber nicht hier und jetzt. Nichtso. Zumindest darin waren sie sich einig. Was die Zukunft brachte, wußte niemand. Sie ergriff den Helm und saß auf.
    „Es
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