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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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hatte ihren Namen schon, solange sie denken konnte, auch wenn es mit dem Denken bei ihr nicht weit her war, und woher sie ihn hatte, das wusste sie nicht.
    »Nun schön«, hatte ihr Herr Matthew gesagt, und dasselbe sagte er auch an dem Morgen, an dem er abreisen wollte und sie mit blau geschlagenem Auge bei seinem Pferd gefunden hatte. Sie müsse mit ihm gehen, sagte sie. Gilles habe sie aus dem Haus geprügelt, um des Herrn Matthew willen, denn dass eine von seinen Hübschlerinnen so viel Gefallen an einem Kunden finde, das dulde er nicht. In Wahrheit hatte sie sich selbst aufs Auge gedroschen, so kräftig sie konnte. »Nun schön«, sagte ihr Herr Matthew und seufzte. »Was bleibt mir anderes übrig?« Seither waren sie zusammen unterwegs.
    Zuerst war sie neben ihm zu Fuß gegangen wie sein Diener Hugh, der eigentlich zu alt und zu versoffen war, um der Diener eines so grandiosen Herrn zu sein. Über die Schmerzen hatte sie tapfer kein Wort verloren, doch ihr Herr Matthew hielt irgendwann einfach das Pferd an, sprang ab und befahl ihr: »Zeig mir deine Füße.« Widerstrebend hatte Magdalene ihm die eiternden Blasen auf ihren Sohlen gezeigt, und im nächsten Marktflecken kaufte er ihr ein Maultier, das er fortan bei seinem Pferd führte. Ohne einen Grund dafür zu nennen, schnitt er ihr das Haar wie einem Jungen, gab ihr Kleider von Hugh und rief sie Mag. Magdalene war damit zufrieden. Er hätte sie Idiotin rufen und eine Narrenkappe tragen lassen können, sie wäre noch immer zufrieden gewesen.
    Ihr Herr Matthew war beauftragt, Schulden einzutreiben. Kein schöner Auftrag für einen so schönen Ritter, fand Magdalene, aber das Geld, das er eintrieb, gehörte dem König, und der brauchte es für einen heiligen Krieg. So waren sie vom Norden, wo der Wind schneidend tobte, Meile um Meile nach Süden gezogen, auf London zu, wo der König auf das Geld wartete. Im Moment zogen sie über die Insel. Es würde Magdalene von Herzen wehtun, die Insel zu verlassen, denn sie hatte, solange sie denken konnte, nie einen so goldenen, sonnigen Ort gekannt und nirgendwo so wenig gefroren. In der Nacht, ehe sie einschlief, hörte sie das Meer rauschen, als flüstere es ein Nachtgebet, und bei Tag bekam sie im Überfluss zu essen. Mit ihrem Herrn Matthew aber wäre sie überall hingegangen, selbst in die Hölle oder in den ewigen Winter.
    Sosehr Magdalene aufblühte, seit sie auf der Insel waren, so sehr verfiel Herr Matthew dem Ingrimm und der schwarzen Galle. Auf seiner schönen Stirn stand eine steile Falte, er aß kaum, schlief noch weniger und sang auch nicht. Magdalene, die das Gras wachsen hörte, vernahm, wie ihr Herr Matthew in den Nächten schlaflos umherging. Als sie ihn danach fragte, gab er unwirsch Antwort: »Was geht das dich an? Kümmere dich um das, was im verdammten Kochtopf schmort, und stiehl mir nicht die Zeit.«
    Eines Morgens, als der versoffene Hugh ihm die Waffen nicht schnell genug anreichte, versetzte er ihm eine Ohrfeige.
    Magdalene erschrak bis ins Mark. Dass Herren ihr Gesinde schlugen, war der Lauf der Welt, doch bei Sir Matthew hatte sie es nie erlebt. Er mochte wild und ungebärdig sein, und gefährlich war er ohne Zweifel, denn sonst hätten nicht all die säumigen Zahler ihm das Geld für den König ausgehändigt, aber er hatte nie einem von ihnen Schmerz zugefügt. Er hatte die Blasen an ihren Sohlen verarztet und Hugh Arznei gekauft, als der sich den Magen verdorben hatte. Er teilte sein Fleisch mit ihnen und ließ sie in seiner Nähe und unter wollenen Decken schlafen. Mit dem alten Hugh sprach er wie ein Mann zum anderen, obgleich jener ihm nicht antworten konnte. Hugh konnte auch jetzt, als er die Ohrfeige einstecken musste, nicht schreien. Hugh war stumm. Er hatte keine Zunge.
    Sir Matthew starrte erst seine Hand an, dann die gerötete Wange des Dieners. Er fuhr herum und entdeckte hinter sich Magdalene, der Tränen aus den Augen strömten. »Hör auf zu heulen!«, fuhr er sie an. »Oder willst du dir auch eine fangen?«
    Ja, mein Herr, dachte Magdalene. Wenn es dir hilft, deinen Frieden zu finden, will ich auch das. Vor allem will ich, dass dich die Scham nicht so quält – schon gar nicht für etwas, das jeder andere Herr schon längst getan hätte.
    Kurz schien es, als hole Sir Matthew tatsächlich aus, dann ließ er die Hand schwer in den Schoß fallen. »Geht hinauf in die Kammer«, sagte er. »Lasst euch zum Abend vom Braten geben. Ich komme erst spät zurück.«
    Hugh und Magdalene
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