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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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Frau eines Reisenden angegriffen. Der Wirt, die Wirtin und ihr Knecht hatten offenbar gepackt, was sie an Waffen erwischen konnten, und drangen mit Heugabel und Spaten auf den Höllenhund ein. Immerhin gelang es ihnen, das Tier von der schreienden Frau wegzutreiben. Dass sie es damit am Maul verletzten, machte es jedoch nur noch rasender.
    Die Leute, die das Geschrei herbeigelockt hatte, wichen bis an die Mauer des Hauses zurück und versuchten, sich den Hund mit ihren Waffen vom Leib zu halten. Während der auf die Wirtin und den Knecht zupreschte, gelang es dem Wirt, zur Seite zu entwischen und eine Sichel zu packen, die an der Hauswand lehnte. Von hinten näherte er sich und hob die Sichel vor der Brust, ohne Zweifel in der Absicht, die Bestie zu töten.
    »Halt!«, brüllte da Sir Matthew von der Tür her.
    Der Mann erstarrte im Schritt.
    Atemlos sah Magdalene zu, wie ihr Herr unbewaffnet, nur in Hemd und Hosen, auf das Untier zuging. Leise sprach er auf es ein, eine Flut von zärtlichen Worten, von denen sie keines verstand. Schon wandte ihm der Hund, der ausgesehen hatte, als wollte er der Wirtin an die Gurgel springen, den massigen Kopf zu. Sir Matthew ging dessen ungeachtet weiter, kniete vor dem Tier nieder, hob die Hand und klopfte ihm behutsam den eisengrauen Hals. Auf seine Knie troff blutiger Schaum von den Lefzen des Tieres.
    »Armer Kerl«, sagte Herr Matthew und kraulte es hinter den Ohren. »Armer, wackerer Kerl.«
    Der Wirt wagte beherzt einen Sprung und holte mit der Sichel aus. Ein starker, schneller Hieb auf den bulligen Nacken, und Sir Matthew wäre in Sicherheit. Der aber rief noch einmal, wenn auch sacht, um das Tier nicht zu erschrecken: »Nein. Bringt den Hund nicht um, ich zahle Euch gutes Geld für ihn.« Mit der rechten Hand liebkoste er weiter das Tier, mit der linken nestelte er an dem Beutel, den er an einer Lederschnur um den Hals trug. »Was soll er kosten? Sind drei Pfund genug?«
    Magdalene stockte der Atem. Kein Mensch bezahlte drei Pfund für einen Hund, schon gar nicht für eine Bestie, die erschlagen gehörte. »Aber nein, Mylord«, stotterte denn auch der Wirt, ließ jedoch die Sichel sinken. »Das ist zu viel, und ich kann Euch auch den Hund nicht verkaufen – er ist toll, er fällt nicht zum ersten Mal einen Menschen an. Ihm ist nicht zu trauen.«
    »Ich traue ihm«, sagte Sir Matthew und warf dem Wirt die Münze zu. »Behaltet den Rest. Wie heißt er?«
    »Wie er heißt? Er hat keinen Namen.«
    »Armer Namenloser«, murmelte Sir Matthew und umfasste den Kopf des Mastiffs. »Ich wäre auch nicht gut zu haben, wenn ich meinen Leuten nicht einmal einen Namen wert wäre.«
    Er stand auf, fasste den Hund am Halsband und führte ihn mit sich fort. Wenig später brachen sie auf – Sir Matthew zu Pferd, der Hund, dessen Wunden er im Stall mit Althaimenes’ teurer Salbe versorgt hatte und den er Nameless rief, lief an seiner Seite. Magdalene folgte auf dem Maultier und Hugh in gebührendem Abstand zu der grauen Bestie.
    Anfangs konnte Magdalene an kaum etwas anderes denken als an ihre Angst, der Hund könne Sir Matthew angreifen, doch mit der Zeit nahm die Schönheit des Weges ihre Gedanken für sich ein. Sie durchquerten eine dichte Waldung, und da der Pfad handschmal und von knorrigen Wurzeln geädert war, tat Magdalene es ihrem Herrn gleich, sprang ab und führte ihren Maulesel am Zügel. Weich und federnd lag ein Teppich aus Nadeln unter ihren Füßen. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, konnte sie Flecken von Blau durch die Wipfel himmelhoher Tannen erahnen, und immer wieder schüttete die Sonne ihr Gold zwischen die Zweige, dass es schwer wie Honig daran heruntertropfte.
    Das Laub zwischen den Nadelgewächsen färbte sich hier und da schon kupferrot, die Luft war wie schmeichelnde Seide und erfüllt vom Duft nach Harz. Magdalene freute sich am Anblick von Sir Matthews Schultern und spürte im ganzen Leib, wie sehr sie ihr Leben liebte. Das wohlige Gefühl blieb, als sie den Wald verließen. Sie saßen wieder auf und ritten zwischen Feldern hindurch, deren Ähren im Wind wogten, und über Koppeln, auf denen Schafe und gedrungene, zottige Pferde grasten.
    Magdalene ließ ihren Blick über das weite Land schweifen.
    Die Gebäude tauchten auf, als seien sie aus der Stille gewachsen, für die Ewigkeit erbaut in graugelbem Stein. Die zahllosen Häuser, die Magdalene auf der Reise durch das Land gesehen hatte, standen alle miteinander in Verbindung wie die Menschen, die sie
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