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Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)
Autoren: Reiner Stach
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Schwanken ich darstelle, ist die gleiche geblieben, nur die Gewichtsverteilung ist ein wenig verändert, ich glaube, mehr über uns beide zu wissen und habe ein vorläufiges Ziel. Wir werden Pfingsten darüber sprechen, wenn es möglich sein wird. Glaube nicht, Felice, dass ich nicht alle hindernden Überlegungen und Sorgen als fast unerträgliche und widerliche Last empfinde, alles am liebsten abwerfen wollte, den geraden Weg allen andern vorziehe, gleich und jetzt im kleinen natürlichen Kreis glücklich sein und vor allem glücklich machen wollte. Es ist aber unmöglich, die Last ist mir nun einmal auferlegt, die Unzufriedenheit schüttelt mich und sollte ich auch das Misslingen ganz klar vor Augen haben, und nicht nur das Misslingen sondern auch den Verlust aller Hoffnungen und das Heranwälzen aller Verschuldung – ich könnte mich wohl nicht zurückhalten. Warum glaubst Du übrigens Felice – es scheint wenigstens dass Du es manchmal glaubst – an die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens hier in Prag. Früher hattest Du doch schwere Zweifel daran. Was hat sie beseitigt? Das weiss ich noch immer nicht.« [3]  
    ›The Impossibility of Being Kafka‹ lautet der Titel eines Essays, den die amerikanische Erzählerin Cynthia Ozick im New Yorker veröffentlichte. [4]   Die Unmöglichkeit, Kafka zu sein – eine Überschrift, die verblüfft und die dennoch einleuchtet, weil sie unterschwellig jenes vertraute Porträt eines neurotischen, hypochondrischen, skrupulösen, in jeder Beziehung schwierigen und empfindlichen Menschen heraufbeschwört, der ewig um sich selbst kreist und dem schlechthin alles zum Problem wird. Es ist das Bild, das dem Bildungsfundus der westlichen Welt seit langem sich eingebrannt hat, und so tief, {18} dass Kafka schließlich zum Urbild jenes Typus geworden ist, zum paradigmatischen Fall einer weltfremden, sich selbst verzehrenden Innerlichkeit.
    Dass es unmöglich ist, Kafka zu sein – er selbst hätte diese Behauptung lächelnd und ohne zu zögern beglaubigt. Ja, unmöglich , und überhaupt zählte dieses Wort zu jenen für Kafka charakteristischen Adjektiven, die ihm auch in überraschenden Zusammenhängen leicht von der Zunge gingen und denen er stets einen geheimen Hintersinn verlieh. Es schien ihn nicht zu bekümmern, dass er damit den Verdacht des notorischen Übertreibens weckte und Freunde und Familie immer wieder gegen sich aufbrachte. Denn er verharrte ja gegenüber den Schwierigkeiten des Lebens keineswegs in duldender Passivität, was seinen eigenen Klagen zufolge, hätte man sie nur ernst nehmen können, doch wohl das Konsequenteste gewesen wäre. Vielmehr erledigte er das soeben noch für unmöglich Erklärte fast stets zur allgemeinen Zufriedenheit, bisweilen sogar aus eigenem Antrieb und ohne dass man ihn hätte drängen müssen. Er zeigte ein durchaus pragmatisches, bisweilen sogar ironisches Verhältnis zum Unmöglichen, und wer ihn nur flüchtig kannte, konnte durchaus auf den Gedanken verfallen, hier wolle sich jemand schwieriger machen, als er ist. » … man darf sich vor den kleineren Unmöglichkeiten nicht hinwerfen«, begründete Kafka diesen Widerspruch, »man bekäme ja dann die grossen Unmöglichkeiten gar nicht zu Gesicht.« [5]   Das leuchtete ein. Aber meinte er das nun ernst?
    Auch Max Brod, der ja Kafka aus frühesten Studententagen kannte, vermochte es letztlich nicht, ihn in diesem Punkt zu durchschauen. Unzählige Male hatte er sich als geduldiger Zuhörer von Kafkas Lamento bewährt, dessen schwankenden Willen ebenso ertragen wie die niemals schlafenden Skrupel, die noch die gewöhnlichsten Entscheidungen benagten. Und Brods Geduld rührte aus der allmählich wachsenden Erkenntnis, dass all die Hindernisse, die der Freund vor sich auftürmte, nicht einfach hypochondrische Hirngespinste waren, vielmehr einem übermächtigen, niemals zu beschwichtigenden Willen zur Vollkommenheit entsprangen. Kafka wollte Perfektion, im Größten wie im Kleinsten, und Perfektion war unmöglich – das konnte Brod weder bestreiten, noch wäre es ihm in den Sinn gekommen, jenes utopische Verlangen von vornherein als weltfremd oder gar lebensfeindlich abzutun. Aber ein Manuskript in den Ofen {19} werfen, weil es nicht vollkommen ist? Auf einen Beruf, eine Reise, eine Frau verzichten, weil man selbst nicht vollkommen ist? Das war unverantwortlich, fand Brod, und auch unter moralisch strengen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Denn Kafkas Rigidität musste sich
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