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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition)
Autoren: David Fermer
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Wahrzeichen von Kapstadt. Die steilen Felswände ragten hoch in den klaren blauen Himmel und endeten in einem flachen Gipfel. Der Tafelberg, auch »Table Mountain« genannt, machte seinem Namen alle Ehre. Er war flach wie ein Tisch. Vor dem Berg erstreckte sich die »Mutterstadt Südafrikas« bis zu den türkisfarbenen Gewässern des Atlantischen Ozeans. Kapstadt wirkte wie ein Mosaik aus sonnendurchtränkten Dächern, weißen Gebäuden und grünen Bäumen.
    Irgendwie ähnelte der stämmige Geschichtslehrer dem Berg, auf den er gerade schaute. Er selbst war nicht groß, aber seine Schultern waren breit, sein Körper kompakt und kräftig. Für einen Mann, der auf die Sechzig zuging, war er in bester körperlicher Verfassung. Seine kurzen, stoppeligen Haare waren bereits grau. Sein Stoffsakko mit Fischgrätmuster verlieh ihm einen Hauch Intellektualität, aber im Prinzip sah Stein aus wie ein veralteter Türsteher, der in seiner zweiten Lebenshälfte einen konservativen Geschmack für Mode entwickelt hat.
    »Der Nationalsozialismus in Deutschland«, sagte der Lehrer mit festem Blick auf den Tafelberg, »war der Apartheid in Südafrika nicht unähnlich.«
    Er legte eine kurze Pause ein, damit seine Schüler den Vergleich verarbeiten konnten. Oben auf dem Berg fuhr die berühmte Seilbahn langsam hinab zur Bodenstation.
    »Die Begründer der Apartheid waren stark vom deutschen Nationalsozialismus beeindruckt«, fuhr er fort. »Während des Zweiten Weltkrieges saßen sogar Leitfiguren der Apartheid hier im Gefängnis, weil sie das NS-Regime befürworteten. Die Nazi-Ideologie entsprach genau ihrem Weltbild: die weiße Herrenrasse, Klassifikationsmerkmale für alle anderen Rassen, Antikommunismus, antidemokratische Systeme, staatliche Kontrolle in jedem öffentlichen Bereich. Die Liste ist lang.«
    Stein drehte einen Stift zwischen seinen Fingern.
    »Ich möchte, dass ihr euch mit diesem Zusammenhang beschäftigt«, kündigte er seiner Klasse an. »Die Parallelen zwischen den beiden Systemen. Auch die Unterschiede.«
    Der athletische dunkelhaarige Junge, der ganz hinten saß, meldete sich zu Wort: »Kann man die beiden Systeme wirklich vergleichen?«
    »Wieso nicht?«, konterte Stein mit einer Gegenfrage.
    »Die Ausmaße waren doch völlig verschieden«, antwortete Milan. »Die Nazis haben einen Weltkrieg angezettelt. Sie wollten den Nationalsozialismus verbreiten und die Juden ausrotten. Die Apartheid hatte ganz andere Ziele.«
    »Ja, bis zu einem gewissen Punkt«, stimmte Herr Stein ihm ruhig zu. »Das Apartheid-Regime hat natürlich nicht sechs Millionen Juden systematisch ermordet. Es hat auch nicht den totalen Krieg erklärt. Aber – und hier könnte man vielleicht doch einen Vergleich ansetzen – die weiße Minderheitsregierung hat während der Apartheid fünf Mal so viele Menschen ihrer Grundrechte vollkommen beraubt – und das über einen deutlich längeren Zeitraum, als der Nationalsozialismus andauerte. Schließlich waren die Nazis nur zwölf Jahre an der Macht. Das Apartheid-Regime dagegen über vierzig Jahre.«
    Auch Milans bester Freund Alexander schüttelte ablehnend den Kopf. Als deutschstämmige Südafrikaner wollten die Jugendlichen aus Steins Klasse nicht mit Nazi-Deutschland in einen Topf geworfen werden. Obwohl die Abschaffung der Apartheid schon sechzehn Jahre zurücklag, wurden sie tagtäglich mit ihren Folgen konfrontiert. Die Schwarzen, die in orangefarbenen Arbeitskitteln die Gehwege fegten oder die Autos in die leeren Parklücken hineinwinkten. Die Weißen, die zum größten Teil noch immer einen höheren Lebensstandard als ihre schwarzen Landsleute genossen. Die Gemeinde der Farbigen, die meistens für sich blieb und selten auffiel. Wenn man genau hinschaute, war die Ungleichheit zwischen den einst streng unterteilten Rassen immer noch da.
    »Aber trotzdem«, kam Alexander Milan zu Hilfe. »Völkermord ist eine ganz andere Sache.«
    Stein folgte mit seinen Augen weiter der Abwärtsbewegung der Seilbahn. »Das bestreite ich nicht«, sagte er. »Aber der Staatsapparat, der dazu führte, ist durchaus mit dem der Apartheid zu vergleichen. Fallen sonst noch jemandem Parallelen ein?«
    Jetzt meldete sich das rothaarige Mädchen neben Alexander zu Wort. »Liebesbeziehungen zwischen den Rassen waren verboten«, sagte sie mit ihrem Berliner Akzent. Ihre Eltern waren erst in den 90er-Jahren nach Südafrika ausgewandert.
    »Das Militär hatte einen hohen Stellenwert«, kam ein weiteres Argument.
    »Die
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