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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition)
Autoren: David Fermer
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Heimat
    Milan war glücklich wie nur selten zuvor. Er genoss den festen Griff seiner Beifahrerin, ihre Arme um seine Taille, die gefalteten Hände an seinem Bauch, ihre Oberschenkel eng neben seinen, ihre Brüste an seinem Rücken. Manchmal schlug Zenis Helm gegen seinen, wenn sie sich umschaute oder wenn er unerwartet bremsen musste. Die ganze Zeit hielt sie sich an ihm fest, als fürchtete sie um ihr Leben. Ab und zu warf Milan einen Blick nach unten und sah ihre langen drahtigen Finger, die aneinandergepresst waren. Feine Hände, wie die einer Klavierspielerin. Er hätte ihre Finger gerne berührt, doch er traute sich nicht. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Straße.
    »Bist du o. k.?«, rief er zwischendurch über seine Schulter.
    Zeni, die am Anfang vor lauter Aufregung hin und her gerutscht war, gewöhnte sich schnell an das für sie ungewöhnliche Fortbewegungsmittel.
    »Mir geht’s gut!«, rief sie zurück.
    Milan liebte es, auf seiner Vespa durch Kapstadt zu fahren. Er brauchte kein bestimmtes Ziel. Er konnte einfach aufbrechen und schauen, wo ihn die Straßen hinführten. Er mochte die Farben und die Geräusche der Stadt, das rege Treiben der Geschäfte und die stillen Momente der einsamen Gestalten. Er mochte die Gerüche, die ihm immer wieder in die Nase wehten, das Gefühl des vibrierenden Motors unter ihm, die Freiheit und die Selbstbestimmung. Auf der angesagten Long Street saßen die Leute draußen in Cafés, auf der Adderley Street bummelten sie die Einkaufsstraße entlang. Um den Hauptbahnhof herum wimmelte es von Menschen, die auf das öffentliche Verkehrsnetz angewiesen waren. Manchmal fuhr Milan zur Seilbahnstation am Tafelberg hoch und schaute sich die Touristen aus aller Welt an. Dann ging er oft nach Camps Bay hinunter und beobachtete die Superreichen oder er fuhr nach Lansdowne Road, um sich ein Fußballtraining von Santos anzusehen. Kapstadt hatte viele Gesichter, von den gewaltigen Hochhäusern des Handelszentrums bis hin zu den überfüllten Townships, von den bunt bemalten Reihenhäusern und zerbröckelnden weißen Moscheen des Bo-Kaap-Viertels bis hin zur lebhaften Promenade am Sea Point. Es war Milan meistens egal, wo er hinfuhr, denn überall gab es etwas zu sehen.
    Als sie sich Khayelitsha näherten, standen immer mehr Blechhütten am Rand der Schnellstraße. Die Armut hier war nicht zu übersehen. Kinder spielten Fußball direkt neben der Autobahn, Fußgänger überquerten die dreispurige Straße, als wäre es die normalste Sache der Welt. Milan nahm die Ausfahrt am Mew Way, doch bevor er ins innere Township fuhr, tippte ihm Zeni auf die Schulter und rief: »Ich steige hier ab.«
    Milan hielt an der Kreuzung an. Von der erhöhten Autobahnausfahrt hatte er einen weiten Blick über das Meer von Hütten, das die sogenannte »Neue Heimat« ausmachte. Das bedeutete nämlich »Khayelitsha« in Zenis Muttersprache Xhosa. Fast alle Dächer waren aus Wellblech, Holz oder sogar Pappe. Breite Straßen teilten den Stadtteil in ein Raster auf, dazwischen häuften sich die Blechhütten, als wären sie tatsächlich aufeinandergestapelt, besonders jene neben der Autobahn. Khayelitsha war wie ein Labyrinth. Milan konnte sich ein Leben hier nicht vorstellen, auch wenn der Stadtteil nur eine halbe Stunde von seinem eigenen Zuhause entfernt war. Es war eine ganz andere Welt.
    »Wo wohnst du?«, fragte Milan mit Blick auf das ausufernde Township.
    Zeni deutete vage die Hauptstraße entlang. »Dahinten. Von hier aus kann ich zu Fuß gehen.«
    »Ich bringe dich nach Hause«, bot Milan an. »Du musst mir nur den Weg sagen.«
    »Nein danke«, wies Zeni zurück und stieg von der Vespa ab. »Das ist nicht nötig.«
    »Es ist kein Problem. Ich kann dich ...«
    Zeni wehrte leicht genervt ab. »Ist schon gut! Ich gehe lieber allein.«
    Milan zuckte zusammen, erstaunt über Zenis schroffe Reaktion. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie viele Blicke auf sie gerichtet waren. Aus allen Richtungen starrten Leute die beiden an. Ein weißer Junge und ein schwarzes Mädchen auf einer alten Vespa in Khayelitsha – das sah man hier nicht alle Tage.
    »Alles klar«, gab Milan kleinlaut nach. »Es tut mir leid.«
    Zeni senkte verschämt den Kopf und nickte. »Ich habe das nicht so gemeint ...«
    Ihre Worte ließen Milan hoffen. »Sehen wir uns wieder?«
    Zeni mied Milans Blick. »Ich weiß nicht«, murmelte sie.
    »Was machst du morgen? Kann ich dich abholen?«
    »Ich ...«
    »Wir könnten irgendwo hinfahren. Ans
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