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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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hervor, die über seinem rechten Ohr steckte. Er schob sie zwischen die Lippen, zündete sie an und nahm einen Zug. Sim beobachtete jede seiner Bewegungen mit ihren Stachelbeeraugen.
    Sie liefen zum Parkplatz, wo Jo Klingers alter Chevrolet stand, ein Pick-up mit geschlossener Ladefläche. Der 1975er-Silverado war von blassgelber Farbe und hatte weiße Seitenstreifen. Mit seinem klapprigen Aufbau sah er aus wie ein echter Oldtimer. Jimi machte es Spaß, die Kiste zu fahren, auch wenn sie ein Spritfresser war und gelegentlich streikte.
    Er ging zum Heck des Trucks und öffnete die hintere Klappe, um Sims Tasche auf die Ladefläche zu stellen. Dann schloss er die Klappe wieder, stieg in die Fahrerkabine und setzte sich hinter das Lenkrad. Mit den Fingern an der Karosse lief Lukas um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und machte eine einladende Handbewegung.
    Jimi blickte zur Seite und sah Sims hellen, misstrauischen Blick. Sie traute dem Gefährt genauso wenig wie ihm und Lukas, aber ihr blieb keine Wahl. Zögerlich kletterte sie auf die rissige Sitzbank, aus der an manchen Stellen bröseliger Schaumgummi quoll, und stellte den Rucksack zwischen ihre Füße. Lukas schob sich neben sie und zog mit einem lauten Knall die Beifahrertür zu.
    Der Truck begann zu vibrieren, als Jimi den Motor startete. Er jagte den ersten Gang rein und die Kiste rollte los. Zugegeben, die Geräusche, die der Silverado von sich gab, klangen beängstigend, aber der Truck hatte Bremsen (was nicht selbstverständlich war für einen Res-Car) – und er fuhr (was ebenfalls nicht selbstverständlich war für einen Res-Car). Jimi hoffte, dass die Kiste ihn nicht im Stich ließ, so wie vor zwei Wochen. Er wollte dieses seltsame Mädchen so schnell wie möglich bei Jo abliefern.
    Wie konnte man bloß in solchen merkwürdigen Klamotten herumlaufen, in Sachen, die selbst die Heilsarmee aussortiert hätte? Jimi wusste nicht, ob er Sim(ona) ihres schrägen Outfits wegen bemitleiden oder ob er ihren Mut bewundern sollte. Das konnte lustig werden, wenn sie erst in dieser Verkleidung im Reservat herumspazierte. Jo tat ihm ein bisschen leid, denn es würde sich schnell herumgesprochen haben, dass das Mädchen ihre Nichte war. Hoka hey! Diesmal dachte er es nur und sprach es nicht laut aus. Auf geht’s! Bringen wir es hinter uns.
    Keine Gurte. Vor hundert Jahren, als dieser Pick-up gebaut worden war, hatte noch niemand ans Anschnallen gedacht. Zu dritt saßen sie in der alten Kiste, zusammengedrängt wie in einer Sardinenbüchse. Lukas rechts neben Sim und Jimi am Steuer. Die tiefbraunen Arme der Jungen so dicht neben ihrer blassen Haut.
    Ich bin ein Bleichgesicht, dachte sie.
    Der Mai und die ersten beiden Juniwochen waren kühl und regnerisch gewesen in Deutschland, sodass Sims Haut bisher kaum einen Sonnenstrahl abbekommen hatte. Hier war der Himmel blassblau und es war immer noch unglaublich warm draußen, obwohl der Tag sich dem Ende neigte. Unter dem aromatischen Zigarettenrauch, der durch die Fahrerkabine zog, konnte Sim den Schweiß der beiden Jungen riechen. Sie zog die Schultern zusammen und klemmte ihre Hände zwischen die Schenkel, um sich so dünn wie möglich zu machen. Solange es sich vermeiden ließ, wollte sie keinen von ihnen berühren.
    Vom Rückspiegel, also genau vor ihr, baumelte ein Traumfänger mit zerzausten Federn. Sim hatte von ihrer Tante zum zehnten Geburtstag einen wunderschönen großen Traumfänger geschickt bekommen, mit einem schwarzen Netz in einem mit rotem Leder umwickelten Weidenring, an dem gepunktete Federn baumelten. Er hing zu Hause über ihrem Bett. Die guten Träume sollten sich im Netz verfangen und über die Federn in den Kopf des Träumers geleitet werden. Die schlechten Träume fielen angeblich durch das Loch in der Mitte und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Ihr hatte der Traumfänger nichts genützt, denn in den letzten Monaten war sie oft von verwirrenden Träumen geplagt worden und schweißgebadet daraus erwacht. Es funktionierte nur, wenn man auch daran glaubte, so wie die Indianer.
    Jimi schnippte die Kippe aus dem offenen Fenster. Sim betrachtete seine braunen Hände auf dem vibrierenden Lenkrad.
    Irgendein Typ sang im Radio. »Indians, Indians, Indians. Let me tell you about Indians…« Lukas und Jimi grinsten vor sich hin und sangen mit.
    Ganz normale Jungs, Sim.
    Da ganz offensichtlich keiner der beiden an Konversation interessiert war (kein »Wie-war-dein-Flug?« – oder so etwas in der
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