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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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Art), steckte sie die Stöpsel ihres iPods in die Ohren und versuchte, sich zu entspannen. Was natürlich nicht funktionierte – unter diesen Umständen. Schließlich tat sie so, als wäre sie an der Landschaft links und rechts der Straße interessiert. Dabei warf sie zunächst einen verstohlenen Blick auf ihren linken Sitznachbarn.
    Aus Jimis lockerem Pferdeschwanz waren ein paar Strähnen entwischt und klebten an seiner Schläfe. Er trug jetzt wieder seine Sonnenbrille, aber sie wusste, dass seine Augen dunkelbraun waren. Er hatte kantige Gesichtszüge mit breiten Wangenknochen und schrägen Augen. Über seiner Oberlippe schimmerte dunkler Flaum und seine Wangen waren zerfressen von Aknenarben.
    Die Tätowierungen auf seinem Arm, das konnte sie jetzt sehen, stellten Tiere dar: einen Wolf (auf dem beachtlichen Bizeps), eine Schlange, die sich um sein Handgelenk wand, und über der Ellenbeuge ein Adler, der – wenn Jimi den Arm bewegte – aussah, als würde er fliegen.
    Sim blickte wieder geradeaus. Sie wollte nicht zu lange auf die grauschwarzen Tattoos starren, denn ihr Interesse würde Jimi vielleicht irgendeine spöttische Bemerkung entlocken.
    Wenn Jimi schalten musste, drückte er Sim jedes Mal seinen Ellenbogen mit dem Adlerschnabel in die Rippen, deshalb rückte sie ein Stück nach rechts, in der Hoffnung, dass Lukas ihr Platz machen würde. Aber er saß, wo er saß, und jetzt berührten sich ihre Oberschenkel auf der ganzen Länge.
    Sim biss die Zähne zusammen.
    Mit den Fingern seiner Linken trommelte Lukas den Takt der Musik auf sein Knie, mit der Rechten hielt er sich am Griff über der Tür fest. Auf seiner Brust lag ein schimmernder geflochtener Zopf, dick wie ein Seil. Er musste ihren Blick bemerkt haben, denn jetzt wandte er sich ihr lächelnd zu. Schnell schaute sie wieder nach vorn.
    Es irritierte Sim, dass seine Augen von Anfang an hinter schwarzen Brillengläsern verborgen gewesen waren. An den Augen eines Menschen konnte man erkennen, ob man ihm trauen konnte oder ob er ein gefährlicher Irrer war. Zugegeben, wie gefährliche Irre sahen alle beide nicht aus, aber Sim fühlte sich dennoch unwohl zwischen ihnen.
    Trotz der offenen Fenster schwirrte die Luft in der Fahrerkabine vor Testosteron. Wie konnte Tante Jo ihr das bloß antun? Und vor allem: Was hatte sie diesen beiden Machos über sie erzählt? Wussten die Jungs, dass sie nicht aus freien Stücken hier war? Und kannten sie den Grund dafür?
    Die Straße vom Flughafen ins Reservat führte nach Osten – später machte sie einen Bogen in südliche Richtung. Sie fuhren durch welliges Grünland, in dem Bäume eine Seltenheit waren. Der Wind wehte über die Gräser und formte silbrig grüne Wellen. Ein Ozean aus Gras.
    Als Lukas ihren Arm berührte, zuckte Sim zusammen. »Was hörst du denn da?«, fragte er. »Klingt gut.«
    Sie zog die Stöpsel aus den Ohren. »Medusa’s Child«, antwortete sie, »ist eine Schweizer Band.« Das Lied, das gerade spielte, hieß Wounded Knee. Sim mochte die Musik und die Jungs von der Band waren cool, sie hatte sie mal live auf einem Konzert erlebt.
    »Aber sie singen auf Englisch«, stellte Lukas fest.
    »Jap.« Es lief immer noch Musik aus dem Radio und Sim hatte ihren iPod nicht sonderlich laut gestellt. Dieser Lukas musste Ohren haben wie eine Fledermaus.
    »Cooles Teil«, bemerkte Jimi. Es war das Erste, was er von sich gab, seit sie losgefahren waren.
    »Schön klein«, erwiderte sie unnötigerweise. Den iPod hatte sie sich von ihren Eltern zum Geburtstag gewünscht und auch bekommen. Ihr sechzehnter Geburtstag, den sie im Krankenhaus verbracht hatte, mit einer Nadel im Arm. Noch jetzt wurde ihr übel, wenn sie daran dachte, wie elend sie sich gefühlt hatte.
    »Alles okay mit dir?« Lukas wandte ihr das Gesicht zu.
    »Alles bestens.«
    Immerhin, er versuchte wenigstens, nett zu sein, während Jimi höchstens Interesse für ihren iPod aufbrachte.
    »Seid ihr eigentlich Brüder?«
    »Ja«, sagte Jimi.
    »Nein«, antwortete Lukas im selben Atemzug.
    Langsam wurde es doch spannend.
    »Wir sind keine leiblichen Brüder«, klärte Lukas sie auf.
    »Blutsbrüder?«, fragte Sim und biss sich auf die Lippen. Das war ihr so herausgerutscht.
    Lukas wandte ihr erneut das Gesicht zu, seine Mundwinkel zuckten. Schließlich lächelte er amüsiert und präsentierte dabei sein weißes Gebiss mit einem angeschlagenen Schneidezahn. »Ja, so was in der Art«, sagte er. »Wir sind Hunka
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