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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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-Brüder.«
    »Hunka-Brüder?«
    »Wird man durch eine Zeremonie«, meldete sich Jimi zu Wort.
    Sim nickte. Zeremonie. Klar. Welcome to Indian Country, Simona Klinger!
    Lukas erzählte von einer Pflegemutter, bei der sie beide lebten, und dass sie seit ihrem siebten Lebensjahr befreundet waren. Trotz seines lädierten Schneidezahns sprach er deutlich und sie konnte ihn gut verstehen. In der Schule war sie immer unter den Besten gewesen in Englisch – das einzige Fach, in dem sie hin und wieder eine Eins nach Hause gebracht hatte.
    Die Straße wurde zur Baustelle, loser Schotter und abgefräster Asphalt. Jimi musste das Tempo drosseln und Sim stützte sich mit ausgestreckten Armen am staubigen Armaturenbrett ab. Kurz nachdem sie den Highway, der weiter in Richtung Osten führte, verlassen hatten, wurde die Straße schmaler, dafür aber auch wieder besser.
    Lukas war unterdessen in Schweigen verfallen, aber Sim stöpselte ihren iPod nicht wieder ein.
    Sie kamen durch einen kleinen Ort, der sich Scenic nannte. Die grob zusammengenagelten Bretterbuden links und rechts der Straße schienen aus einem alten Wildwestfilm zu stammen. Jimi fuhr jetzt im Schritttempo und Sim sah, dass es sich bei den Hütten um eine Bar nach der anderen handelte. Bei einigen Gebäuden waren die Fenster mit Bretterkreuzen vernagelt. Eine Bar – vergessene Weihnachtsbeleuchtung zierte die verwitterte Fassade und das Dach war mit zahllosen Kuhschädeln bestückt – war jedoch geöffnet und ein Klappschild wies darauf hin, dass es Budweiser gab. Ein kaltes Bier, dachte Sim, wäre jetzt genau das richtige Heilmittel für ihr Unwohlsein.
    Auf dem Dach der Bar stand in schwarzer Schrift, eingerahmt von den bleichen Kuhschädeln, der Spruch: Indians allowed.
    »Das ist der Longhorn Saloon«, erklärte Jimi, als sie die Bar passiert hatten. »Früher hieß es No Indians allowed, aber das No haben sie irgendwann mit weißer Farbe überpinselt. Der Saloon ist cool, Sägemehl auf dem Boden und alte Sättel als Barhocker.« Er sprach schnell und Sim hatte einige Mühe, seinem verwaschenen Englisch zu folgen. »Touristen trauen sich da kaum noch rein«, fuhr er fort, »zu viele betrunkene Indianer…« Er grinste.
    Sim stockte der Atem. Wusste er etwas? War das eine Anspielung gewesen?
    Sie suchte nach Worten für einen Kommentar, aber Jimi erwartete offensichtlich keinen. Er schaltete in einen höheren Gang, trat wieder aufs Gas und die Meilen flogen rasch dahin. Das Gras, bemerkte Sim erst jetzt, war nicht mehr grün, sondern von einem blassen Gelb. Anscheinend regnete es in South Dakota nur selten. Es war erst Mitte Juni und alles schien bereits verdorrt zu sein.
    Bald veränderte sich die Landschaft zu beiden Seiten der Straße und kalkweiße Felsen in bizarren Formen tauchten auf. Es sah aus, als wäre die filzig braungelbe Haut der Erde aufgebrochen und ihre Knochen ragten daraus hervor. Je tiefer sie in dieses wüstenhafte Gebiet hineinfuhren, umso mehr schwand die Grasdecke und pilzförmige Gebilde wechselten sich mit Spitzkuppeln und Felstafeln ab. Hier sah es aus wie auf dem Mond. Jedenfalls wirkte die Gegend nicht sonderlich einladend. Amerika, das war ein fremdes Land, aber sie war unversehens auf einem fernen Planeten gelandet. Sim wurde noch mulmiger zumute.
    »Die Ausläufer der Badlands«, erklärte Jimi, der Sims Blick bemerkt hatte. »Bei Sonnenuntergang sehen sie besonders irre aus.«
    Neben ihr gab Lukas ein kaum hörbares Schnauben von sich und Sim brummte ein gelangweiltes »Hmm«. Von irren Sonnenuntergängen wollte sie lieber nichts wissen. Nicht von einem Typen wie diesem Jimi.
    Die Abendsonne näherte sich dem gezackten Horizont und überpinselte die grau-weißen Felsen mit einem rötlichen Schimmer, der immer intensiver wurde, bis es schien, als würden die Felswände glühen. Es sah irre aus. Wie es wohl sein würde, in dieses Felsgewirr hineinzulaufen, sich darin zu verlieren, alles zu vergessen? Eine andere zu werden. Metamorphose. Transformation. Ein Flügelkleid überwerfen und davonfliegen.
    »Willkommen im Res«, sagte Jimi und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Der Adler auf seinem tätowierten Arm entfaltete seine Flügel, als er auf ein Schild an der rechten Straßenseite wies.
    SIE BETRETEN DAS PINE-RIDGE-INDIANERRESERVAT, HEIMAT DER OGLALA SIOUX. LAND VON RED CLOUD, BLACK ELK UND CRAZY HORSE.
    Namen, die Sim aus ihren Büchern von früher kannte. Aber wer diese Männer waren, hatte sie längst vergessen.
    Das
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