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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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Lukas Brave schöne Augen zu machen, dann war das zwecklos. Er ist blind wie ein Maulwurf.«
    »Was?« Ungläubig starrte Sim ihre Tante an. »Das habe ich überhaupt nicht gemerkt.«
    »Vielleicht deshalb, weil du nur Augen für Jimi Little Wolf hattest.« Fragend musterte sie Sim. »Oder liege ich da falsch?«
    »Ich habe keinem von beiden schöne Augen gemacht«, sagte Sim und hatte Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen. Jimi Kleiner Wolf und Lukas Mutig.
    »Das ist auch besser so. Die beiden haben nämlich den Ruf, die größten Herzensbrecher im Umkreis von hundert Meilen zu sein, und du solltest dich vor ihnen in Acht nehmen.«
    »Du schickst zwei Schürzenjäger, um mich vom Flughafen abholen zu lassen? Gehört das auch zum Therapieprogramm?« Sie sah ihre Tante aufmerksam an.
    Jo hatte die gleichen, weit auseinanderstehenden hellen Augen und dieselbe Adlernase wie sie. Überhaupt war die Ähnlichkeit zwischen ihnen verblüffend. Auf einmal wusste Sim, wie sie in dreißig Jahren aussehen würde. Und dass sie ganz sicher nicht adoptiert war.
    Jo zuckte mit den Achseln, sie ging nicht auf ihren Seitenhieb ein. »Sie waren gerade da, als die Monteure kamen, und Jimi ist der Einzige hier, der meinen Silverado mit Gangschaltung fahren und reparieren kann. Der Toyota ist im Eimer.« Sie nickte hinüber zu der grauen Limousine.
    »Arbeitet er öfter für dich?«
    Jo nickte. »Jimi ist ein guter Handwerker, er kann fast alles reparieren. Und Lukas, der kennt sich bestens mit Pferden aus.«
    »Wohnen die beiden weit weg von hier? Sie haben etwas von einer Pflegemutter erzählt.«
    »Bernadine Jumping Eagle. Zurzeit kümmert sie sich um zwölf oder dreizehn Pflegekinder. Sie wohnt drüben in Manderson.« Jo musterte ihre Nichte mit einem amüsierten Blick. »Hey, höre ich da etwa doch so etwas wie Interesse herausklingen?«
    »Na ja, sonst gibt es hier ja nicht viel Abwechslung, wie es scheint.« Sim machte eine umfassende Handbewegung.
    »Nur keine voreiligen Schlüsse ziehen«, sagte ihre Tante, »hier passiert mehr, als du denkst.« Sie stupste Sim unters Kinn. »He, Mona, du bist endlich einmal woanders! Genieß es einfach.« Sie unterbrach sich für einen Moment, bevor sie fortfuhr. »Aber dass du erst betrunken in den Dorfteich fallen musstest, bevor sie dich mal zu mir lassen, finde ich ganz schön deprimierend.«
    Noch einmal nahm Jo Sim fest in den Arm und sie spürte, wie stark ihre Tante war. Peinlich berührt über Jos Offenheit wand Sim sich aus der Umarmung.
    »Ich wollte dich schon früher besuchen«, sagte sie. »Aber Paps hat behauptet, du vegetierst in einem Loch, das könne er nicht verantworten.«
    Besuchen war wohl nicht das richtige Wort. Ein paar Tage, nachdem Sim vierzehn geworden war (Beginn der Punk-Phase), hatte sie heimlich ihren Rucksack gepackt, fest entschlossen, nach Amerika abzuhauen und von nun an bei ihrer Tante zu leben – frei und ungehindert von den quälenden Einschränkungen der westlichen Zivilisation. Aber ihr Plan war aufgeflogen, bevor sie ihn in die Tat hatte umsetzen können. Um sich größeren Ärger vom Hals zu halten, hatte sie einfach vorgegeben, Sehnsucht nach Tante Jo gehabt zu haben.
    »Da ist was dran.« Jo seufzte. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich nach der Scheidung wieder auf die Beine kam. Aber jetzt vegetiere ich nicht mehr in einem Loch, wie du siehst. Es war übrigens unser alter Trailer dort drüben, den dein Vater damit meinte. Die Bude ist fünfunddreißig Jahre alt. Dreißig Jahre entsprechen in etwa hundert Trailerjahren.« Ihre Tante zuckte mit den Achseln. »Klaus war schockiert, dass ich so leben konnte.«
    »Was meinte er mit so?«
    »Ohne Wasser und Strom. Ohne funktionierendes Bad und WC.«
    Sim wurde blass und Jo lachte über ihr Gesicht. »Keine Angst, Schätzchen, du wirst allen lebenswichtigen Komfort haben.«
    »Kino, Schwimmbad, Eiscafé, Livemusik?«, zählte Sim hoffnungsvoll auf.
    Jo wiegte nur lächelnd den Kopf hin und her. Sie schnappte sich Sims Tasche. »Gehen wir nach oben und reden drinnen weiter. Ich mache den Laden dicht und dann gibt es Abendessen.«

3. Kapitel
    Lukas bedauerte, dass Jimi die Einladung zum Essen ausgeschlagen hatte. Er mochte Jo und war gerne bei ihr. In ihrem Blockhaus war es gemütlich und sauber (es war das gemütlichste und schönste Haus, in dem er je gewesen war). Er mochte den Geruch von Holz in den Räumen und die Duftexplosion exotischer Gewürze, wenn er den Küchenschrank über dem Herd öffnete.
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