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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen
Autoren: Iny Lorentz
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sprechen wir morgen. Es ist spät geworden, und ich gehe früh zu Bett. Schlaft auch ihr und genießt die erste Nacht als Herr und Herrin auf Trettin. Ursel wird euch einen Imbiss zubereiten. Ihr seid gewiss hungrig.«
    Obwohl Lore unterwegs kaum etwas gegessen hatte, schüttelte sie den Kopf. »Nicht besonders. Was ist mit dir? Isst du mit uns am Tisch?«
    »Nein! Ursel wird mir hier aufwarten. Ich verlasse mein Zimmer nur selten, denn hier sind die Toten um mich versammelt, mein Mann und meine Söhne, die alle nicht mehr sind.«
    Lore lag auf der Zunge, dass Ottokar von Trettin und dessen ältester Sohn Ottwald den Tod durch eigene Schuld gefunden hatten, und Wenzel, der zweite Sohn, Malwines übertriebenem Ehrgeiz zum Opfer gefallen war. Da sie jedoch nicht den Dolch in der Wunde umdrehen wollte, verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer.
    Ihr Mann hatte das seltsame Gespräch von der Tür aus mitgehört und schüttelte den Kopf, hielt sich aber zurück, bis sie außer Hörweite waren. »Malwine kann nicht mehr ganz richtig im Kopf sein. Allerdings ist das nach all dem, was geschehen ist, auch kein Wunder. In einem jedoch scheint ihr Rat vernünftig: Wir sollten bald zu Bett gehen. Ich bin sehr müde.«
    »Ich auch. Trotzdem würde ich es vorziehen, in einem Gasthof zu schlafen. Es ist eine schreckliche Vorstellung, mit dieser Frau unter einem Dach nächtigen zu müssen«, antwortete Lore.
    »Mir gefällt es hier auch nicht! Wer Trettin von früher kennt, wendet sich mit Grausen. Ich frage mich, wie Malwine und ihr Sohn es geschafft haben, das Gut innerhalb von fünf Jahren zugrunde zu richten.« Fridolin schüttelte erneut den Kopf und folgte der Magd in das Zimmer, in dem diese alles für ein leichtes Abendessen vorbereitet hatte.
    Als Ursel Brot, Butter, Wurst und andere ländliche Delikatessen herbeibrachte, fragte sich Lore, ob Malwine ihnen vielleicht Gift auftischen ließ, um sich an ihnen zu rächen, und hätte das Essen beinahe zurückgehen lassen. Doch als sie aus dem Augenwinkel sah, wie Ursel mit flinkem Griff ein Stück Schinken von der Platte stibitzte und es sich in den Mund schob, griff auch sie zu. Fridolin und sie saßen allein am Tisch, denn die Kinder ließen es sich mit Nele und Agathe in der Küche schmecken. Da die Atmosphäre in diesem Haus sie beide bedrückte, wechselten sie während des Essens kaum ein Wort.
    Als Lore kurz danach das Zimmer betrat, das für sie vorbereitet worden war, kam ihre Zofe mit pikierter Miene herein. »Gnädige Frau mögen verzeihen, doch jeder größere Bauernhof ist besser mit Dienstboten bestückt als dieses Gut. Die hinkende Ursel ist Köchin und Dienstmädchen in einem, und das auch nur, weil sie sich vor einigen Monaten das Bein gebrochen hat und der Knochen nicht mehr richtig zusammengewachsen ist. Die gesamte restliche Dienerschaft ist in den Insthäusern untergebracht.«
    »Hier müsste vieles geändert werden«, sagte Lore, obwohl sie ebenso wie Fridolin wusste, dass ihnen auf längere Zeit die Mittel dazu fehlten. Doch wenn sie bescheiden anfingen, mochte es vielleicht gehen. Dieser Gedanke beherrschte sie noch, als Nele ihr beim Auskleiden half, und sie musste sich wieder in das Hier und Jetzt zurückrufen. »Wo ist mein Mann untergebracht, und wo du und die Kinder?«, fragte sie Nele.
    »Graf Trettins Zimmer ist gleich nebenan. Es gibt eine Verbindungstür. Ich habe sichergestellt, dass sie sich öffnen lässt. Fräulein Agathe und ich haben ein Zimmer auf der anderen Seite. Graf Wolfhards und Komtess Dorotheas Zimmer liegt den unseren direkt gegenüber. Das ist eine ungünstige Aufteilung, denn wir müssen über den Flur, um nach ihnen zu sehen. Aber Herr Kowalczyk wurde neben den Kleinen einquartiert.«
    »Wir schlafen also alle eng beieinander!« Lore war erleichtert, weil sie rasch bei ihren Kindern sein konnte. Dann aber fragte sie sich, weshalb Malwine den Gästetrakt im Westflügel des Hauses für sie hatte vorbereiten lassen und nicht die ihnen zustehenden Gemächer der Gutsherrschaft. Müde winkte sie ab. Letztlich war es ihr lieber, die erste Nacht auf Trettin nicht in den Zimmern und Betten zu verbringen, in denen Ottokar und Malwine geschlafen hatten.
    Lore wollte nicht allein bleiben, daher öffnete sie die Zwischentür zu Fridolins Kammer. Dieser saß im Pyjama und Morgenrock auf einem Sessel und blätterte in einem Aktenordner. Als er Lore sah, legte er die Unterlagen beiseite und streckte ihr die Arme entgegen.
    »Ich wusste
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