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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked
Autoren: Nick Hornby
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machen würde, weil sie darin unweigerlich scheitern würde.
    »Kann ich zu dir ins Bett kommen?«, fragte Jackson.
    »Klar«, sagte Tucker.
    »Wir beide allein?«
    »Klar.«
    Tucker sah Annie an und zuckte die Achseln.
    »Danke«, sagte er. Während der nächsten paar Wochen würde dieses Wort einer sehr viel ausführlicheren Analyse unterzogen,
     als sie es wahrscheinlich aushalten konnte.
     
    »Was soll ich Mom über die Reise erzählen?«, fragte Jackson, während sie auf den Start des Flugzeugs warteten.
    »Du kannst ihr erzählen, was du willst.«
    »Sie weiß, dass du krank warst, oder?«
    »Ich glaube ja.«
    »Und sie weiß auch, dass du nicht gestorben bist?«
    »Jepp.«
    »Cool. Und wie schreibt man Gooleness?«
    Tucker sagte es ihm.
    »Komisch«, sagte Jackson. »Es kommt mir vor, als hätte ich Mom ewig lang nicht gesehen. Aber wenn ichdran denke, was wir unternommen haben … Viel war das eigentlich nicht, oder?«
    »Tut mir leid.«
    »Das macht nichts. Wenn ich auf dem Weg nach Hause ganz viel SpongeBob gucken könnte, käme es mir vielleicht mehr vor.« Tucker
     wusste nicht, ob er sich gerade einem raffinierten Angriff auf seine väterliche Nachsicht ausgesetzt sah oder einer simpel
     ausgedrückten, aber doch komplizierten Idee zum Verhältnis von Zeit und Erzählung. Doch Jackson hatte den Finger auf irgendetwas
     gelegt. Es war irgendwie nicht genug passiert. Innerhalb weniger Tage hatte er einen Herzinfarkt gehabt, mit allen seinen
     Kindern und zwei seiner Exfrauen geredet, hatte er eine neue Stadt kennengelernt, mit einer neuen Frau geschlafen und Zeit
     mit einem Mann verbracht, der ihn seine früheren Sachen mit ganz anderen Augen sehen ließ, und nichts davon hatte irgendetwas
     geändert. Er hatte nichts daraus gelernt, und er war nicht daran gewachsen.
    Er musste irgendwas übersehen haben. In den alten Zeiten hätte er vielleicht ein paar Songs aus diesem Trip herausgeholt:
     Ein guter Text über ein Nah-beziehungsweise-Ferntod-Erlebnis musste doch mindestens drin stecken. Und Annie … aus ihr hätte
     er das hübsche Mädchen machen können, das ihn wieder zu fühlen gelehrt hatte, so eine Art ›Girl from the North Country‹, das
     seine Rettung gewesen war, das ihm geholfen hatte, sich zu erkennen, benennen, flennen, auf jeden Fall durfte er bei ihr pennen
     … und ohne sie würde er sich wahrscheinlich verrennen. Aber wenn er nicht schreiben konnte, was blieb ihm dann?
     
    Die Wahrheit über autobiografische Songs, das wurde ihm gerade klar, war die, dass man irgendwie aus derGegenwart eine Vergangenheit machen musste: Man musste aus einem Gefühl, einem Freund oder einer Frau etwas machen, das Geschichte
     war, ehe man eine definitive Aussage darüber treffen konnte. Man musste sie in einen Glaskasten setzen und betrachten und
     darüber nachdenken, bis sie keine Bedeutung mehr hatte, und das war ihm mit so gut wie jedem gelungen, den er je gekannt,
     geheiratet oder gezeugt hatte. Die Wahrheit über das Leben dagegen war, dass nichts jemals endete, bis man starb, und selbst
     dann hinterließ man noch einen ganzen Wust von nicht aufgelösten Erzählsträngen. Irgendwie hatte er es geschafft, die Denkgewohnheiten
     eines Songwriters beizubehalten, lange nachdem er aufgehört hatte, Songs zu schreiben, und vielleicht wurde es Zeit, sie abzulegen.
     
    »Schön«, sagte Malcolm, und Annie musste sich sehr beherrschen, um nicht loszulachen. Sie hatte schnell und flüssig und ohne
     Kraftausdrücke (sie hatte rechtzeitig daran gedacht, von Fake Tucker zu sprechen, anstatt die verkürzte Form zu verwenden)
     fünfzehn Minuten lang geredet, und jetzt konnte er ihr so viel Schweigen entgegenbringen, wie er wollte, sie würde es nicht
     brechen. Jetzt war er dran.
    »Und kann man seine CDs noch kaufen?«
    »Das habe ich gerade erklärt, Malcolm. Diese neue ist gerade erst vor ein paar Wochen rausgekommen. Das hat uns ja sozusagen
     zusammengebracht.«
    »Oh. Ja. Entschuldigung. Sollte ich sie kaufen?«
    »Nein. Auch das habe ich gerade erklärt, Malcolm. Sie ist nicht gerade seine beste. Und ich bin sowieso nicht sicher, dass
     es uns weiterhelfen würde, wenn Sie sich Tuckers Musik anhören.«
    »Wir werden sehen. Sie würden überrascht sein.«
    »Gab’s das schon mal?«
    Malcolm sah gekränkt aus, und Annie hatte Mitleid mit ihm. Sie hatte keinen Grund, unfreundlich zu sein. Eigentlich hatte
     sie ihn ganz gern; ihr fünfzehnminütiger Erguss hatte ihr gesamtes beschwerliches
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