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Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Autoren: Julie Powell
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Geld dafür gesehen oder meinen Sekretärinnenjob gekündigt hatte oder einen Hund hatte oder mit dem Buch fertig war oder oder oder …
    Natürlich ist das alles gelogen. Natürlich haben wir die zweite Flasche getrunken - was haben Sie denn auf den letzten dreihundertnochwas Seiten gelesen, wenn Sie mir allen Ernstes abnehmen, ich würde eine Champagnerflasche ein ganzes Jahr im Kühlschrank liegen lassen? Nix da.
    Trotzdem, im Prinzip stimmt es. Bei einem Buch ist das einfach - etwas löschen, nicht immer weiterschreiben (wie man sieht) -, aber was kennzeichnet das Ende im wirklichen Leben?
    Ich habe mich das ganze Jahr auf diesen Augenblick vorbereitet, aber aus irgendeinem Grund kam mir die nahe liegende Antwort erst, als es zu spät war.
     
    Ich habe an jenem Freitagvormittag an dem Buch gearbeitet - damals habe ich ständig an dem Buch gearbeitet, aber ehrlich gesagt wäre »mir die Zähne daran ausgebissen« ein besserer Ausdruck -, als das Telefon klingelte. Ich ließ wie immer den Anrufbeantworter anspringen und achtete nicht richtig darauf, wer am anderen Ende der Leitung war.
    »Julie? Jules? Bist du da? Heb ab, wenn du da bist!«
    Jeder von uns kennt diese Angst vor der vertrauten Stimme am Telefon, die vor lauter unterdrücktem Leid kein Gefühl mehr zeigt. Es ist die Stimme, die man nach Autounfällen und Scheidungen, nach Krankheit und Tod hört. Ich rannte ans Telefon.
    »Mom? Was ist los?«
    »Hast du’s noch nicht gehört? Oh, Kind, es tut mir so Leid...« Und sie begann zu weinen.
    Julia Child war zwei Tage vor ihrem 92. Geburtstag friedlich im Schlaf gestorben. Meine Mutter rief mich an, kurz nachdem sie es morgens im Radio, unterwegs zur Arbeit, gehört hatte. Sie saß noch im Auto, parkte vor ihrem Büro und schluchzte in ihr Handy.
    »Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie du dich fühlst«, sagte sie. »Nach alldem, was du durchgemacht hast.«
    Ich kannte Julia Child nicht. Ich hatte sie nie getroffen. Einmal antwortete sie mir auf einen Brief, den ich ihr geschrieben hatte. »Danke für Ihre freundlichen Zeilen«, stand da. Es war ein Computerausdruck auf offiziellem Julia-Child-Briefpapier. »Es freut mich, dass ich einen so positiven Einfluss auf Sie ausgeübt habe.« Keine Ahnung, ob sie das tatsächlich selbst geschrieben hat. Die Unterschrift sah immerhin echt aus.
    Doch selbst wenn ich sie gekannt hätte - ein so friedlicher Tod nach einem so langen, reichen und großzügigen Leben hat nichts Tragisches. Es ist der Tod, den wir uns alle wünschen - entweder den, oder man stellt fest, dass man einen unheilbaren Gehirntumor hat und zieht los und meuchelt einen plutokratischen Scheißkerl, der die amerikanische Demokratie Stück für Stück zerstört, und wird dabei ruhmreich erschossen. Aber das gilt vielleicht nur für mich.
    Nichts Tragisches, sondern, wenn überhaupt, der Anlass, ein Leben zu feiern, das von hinreißendem, wenn auch etwas trampeltierhaftem Charme erfüllt war. Das begriff ich sofort. Zuerst war ich sehr ruhig und überhaupt nicht traurig. »Danke, dass du’s mir gesagt hast, Mom.«
    Sie schniefte. »Kommst du klar? Brauchst du irgendwas? Was ist mit dem Blog? Schreibst du was rein? Bestimmt sind alle sehr traurig.« Ihre Stimme kippte wieder.
    »Mir geht es gut. Ich schreibe heute Vormittag ein bisschen was. Du kannst ja später reinschauen.«
    Ich wusste, dass ich etwas in mein Blog schreiben musste, auch wenn ich seit Monaten nichts mehr reingestellt hatte. Die Leute würden nachsehen, ob ich etwas zu sagen hatte. Ich wollte Julia den besten, witzigsten, großartigsten Nachruf aller Zeiten schreiben. Ich machte mich an die Arbeit, und ich sag’s Ihnen, ich war Feuer und Flamme. Ich hatte witzige, rührende Erkenntnisse. Der Text, der so entstand, war klug, aufrichtig, traurig, dankbar und fröhlich. Ich war richtig gut drauf.
    Und dann schrieb ich diesen Satz: »Ich habe keinerlei Recht, etwas über diese Frau zu sagen, es sei denn, ein Ertrinkender hat das Recht, etwas über den Menschen zu sagen, der ihn aus dem Meer gezogen hat.«
    Und in diesem Augenblick begann ich so bitterlich zu weinen, dass ich mit dem Schreiben aufhören musste.
     
    Vor zwei Jahren war ich eine neunundzwanzigjährige Sekretärin. Jetzt bin ich eine einunddreißigjährige Schriftstellerin. Ich werde sehr gut bezahlt dafür, dass ich im Schlafanzug rumsitze und auf meinem wahnsinnig schicken iMac rumtippe, falls ich nicht gerade ein Nickerchen mache. Sie haben das gute Recht, mich
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