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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Landbewohner in die Hände falle und daß die Schilderung von Freuden eines Standes, der dem ihrigen ganz ähnlich ist, ihnen diesen erträglich mache? Ich mag mir gern zwei Gatten vorstellen, die diese Sammlung mit einander lesen, neuen Muth schöpfen, um in ihren gemeinsamen Arbeiten auszuharren und vielleicht neue Gesichtspunkte, um denselben Nutzen abzugewinnen. Wie könnten sie darin das Gemälde eines glücklichen Hausstandes anschauen, ohne sich getrieben zu fühlen, einem so schönen Muster nachzueifern? Wie könnten sie sich gerührt fühlen von dem Zauber des ehelichen Bandes, selbst in einem Falle, wo die Liebe fehlt, ohne daß sich das ihrige enger und fester knüpfe? Wenn sie das Buch weglegen, werden sie weder betrübt über ihre Lage noch angewidert von ihren Geschäften sein. Im Gegentheil, es wird Alles um sie her ein lachenderes Ansehen gewonnen haben, ihre Pflichten werden ihnen geadelt erscheinen, sie werden wieder Geschmack gewinnen an den Freuden der Natur, ihre wahren Gefühle werden in ihren Herzen wieder lebendig werden, und indem sie das Glück erreichbar sehen, werden sie es genießen lernen. Sie werden das Nämliche verrichten wie zuvor, aber mit einer anderen Seele und werden wie wahre Patriarchen thun, was sie wie Bauern gethan hatten.
    N. So weit geht Alles sehr schön. Die Männer, die Frauen, die Familienmütter .... Aber die Töchter vom Hause, sagen Sie über die nichts?
    R. Nein! Ein ehrbares Mädchen liest keine Liebesbücher. Die, welche dieses ungeachtet seines Titels liest, beklage sich nicht, daß es ihr geschadet habe: sie lügt. Der Schade war schon zuvor da; sie hat nichts weiter zu befahren.
    N. Vortrefflich! Hier kommt in die Schule, ihr erotischen Schriftsteller; ihr findet euch von aller Schuld befreit.
    R. Allerdings, wenn sie ihr Herz frei spricht und der Gegenstand ihrer Schriften.
    N. Und dies ist bei Ihnen der Fall?
    R. Ich bin zu stolz, um hierauf zu antworten. Julie hatte sich aber für die Beurtheilung der Bücher eine Regel gemacht
[Abth. 2. Br. 18, gegen den Schluß, D. Ueb.]
; wenn Ihnen diese gut scheint, so wenden Sie sie an, um das meinige zu beurtheilen.
    Man ist darauf gefallen, der Jugend Romane in die Hände zu geben, um ihr zu nützen; ich kann mir nichts Unsinnigeres denken: es heißt das, Feuer anlegen, um die Spritzen spielen zu lassen
[Vgl. „Bekenntnisse" Th. 8. S. 3 Anmerk. D. Ueb.]
. Diesem verrückten Einfall zufolge lenkt man die Moral, die in dieser Art Schriften liegen kann, von ihrem Ziel ab, und richtet alle moralische Belehrung an die weibliche Jugend
[Dies geht nur auf die modernen englischen Romane. R. Richardson's Romane, von denen der erste (Pamela) 1740 erschien; auch der Grandison ist schon 1753 erschienen, also vor der Neuen Heloise, die Rousseau 1757-59 verfaßte. D. Ueb.]
, ohne zu bedenken, daß junge Mädchen an den Unordnungen, über die man Klage führt, keinen Theil haben. Im Allgemeinen ist ihr Betragen geregelt, wenn auch ihre Herzen schon verdorben sind. Sie gehorchen ihren Müttern, und warten, bis die Zeit kommt, es diesen nachzuthun. Werden die Frauen ihre Pflichten erfüllen, so verlassen Sie sich darauf, daß auch die Töchter die ihrigen nicht versäumen werden.
    N. Die Erfahrung bestätigt Ihre Bemerkung nicht. Das andere Geschlecht scheint immer einer Zeit der Ungebundenheit zu bedürfen, entweder in jenem Stande oder in diesem. Es ist ein böser Sauerteig, der früher oder später gährt. Bei den Völkern, die Sitte haben, sind die Mädchen leicht und die Frauen streng, umgekehrt bei denen, die keine haben. Die ersteren ziehen nur den Fehltritt in Betracht, die letzteren nur das Aergerniß. Es kommt dann nur darauf an, daß nichts bewiesen werden könne: so wird das Verbrechen für nichts gerechnet
[Talis est via mulieris adulterae, quae comedit et tergens os suum dicit: Non sum operata malum. Prov. (XXX, 20).]
.
    R. Wenn man auf die Folgen sieht, sollte man das nicht denken. Seien wir jedoch gerecht gegen die Frauen! die Schuld ihres unordentlichen Wandels liegt weniger an ihnen als an unsern schlechten Einrichtungen.
    Seitdem die schroffe Ungleichheit der Lebensverhältnisse alle natürlichen Gefühle erstickt, entspringen die Laster und das Unglück der Kinder aus dem ungerechten Despotismus der Väter: in gezwungenen und übel gewählten Ehebündnissen löschen junge Frauen, die Opfer des Geizes oder der Eitelkeit ihrer Eltern, durch Unordnungen, mit denen sie prahlen, die Schande ihrer früheren Ehrbarkeit
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