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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ein gebildeter Mann, der sich mit seiner Familie auf's Land zurückziehen und sein eigener Pächter werden wollte, sich dort ein ebenso angenehmes Leben bereiten könnte, als mitten in den Vergnügungen der Stadt, daß eine Landwirthin eine liebenswürdige Frau sein und ebenso viel Anmuth, ja eine weit lieblichere Anmuth entwickeln kann als die reizendsten Stadtschönen, daß endlich die sanftesten Gefühle des Herzens dort eine Gesellschaft angenehmer beleben können als die gekünstelte Sprache der Zirkel, in denen beißender Witz und Spottgelächter einen traurigen Ersatz bieten für den Frohsinn, der in ihnen etwas Unbekanntes ist. Ist es so?
    R. So ist es. Ich will nur noch eine Bemerkung hinzufügen. Man klagt darüber, daß Romane die Köpfe verwirren; ich glaube es gern. Indem der Roman Denen, die ihn lesen, beständig die eingebildeten Reize eines Standes, dem sie nicht angehören, vorspiegelt, verführt er sie, setzt ihren eigenen Stand in ihren Augen herab und reizt sie, diesen in Gedanken mit dem andern, den man ihnen lieb macht, zu vertauschen. Wenn man so sein will, was man nicht ist, bringt man es in der That dahin, sich für etwas Anderes zu halten, als man ist, und man wird zum Narren. Wenn die Romane ihren Lesern nur Schilderungen von Gegenständen vorhielten, wie sie sie wirklich um sich sehen, Pflichten, welche sie erfüllen können, Freuden, die ihnen zugänglich sind, so würden die Romane sie nicht närrisch, sondern weise machen. Schriften, die für einsam lebende Leute geschrieben sind, müssen deren Sprache sprechen: wenn sie sie belehren sollen, müssen sie ihnen gefallen, müssen sie fesseln; sie müssen ihnen ihren Stand lieb machen, indem sie ihnen denselben angenehm zeigen. Sie müssen die Maximen, die in den großen Gesellschaften gelten, bekämpfen und zerstören, sie müssen sie falsch und verächtlich darstellen, d. h. so wie sie in Wahrheit sind. Und um Alles dessen willen muß ein Roman, wenn er recht gemacht ist, wenigstens wenn er nützlich ist, bei dem Modevolk als ein plattes, überspanntes, lächerliches Buch verspottet, gehaßt und verrufen sein, und so, mein Herr, ist Weisheit, was der Welt Thorheit ist.
    N. Die Folgerung hieraus ergiebt sich von selbst. Man kann seinen Fall nicht besser voraussehen und sich nicht stolzer zum Falle anschicken. Es ist nur noch eine Schwierigkeit übrig. In der Provinz, wie Sie wissen, liest man nur, was wir empfehlen: sie erhalten nur, was wir ihnen zuschicken. Ein Buch, das für die einsam Lebenden bestimmt ist, wird zuerst von den Weltleuten beurtheilt; wenn diese es verwerfen, lesen es die Anderen nicht. Antworten Sie!
    R. Die Antwort ist leicht. Sie sprechen von den Schöngeistern der Provinz, ich aber von Denen, die ein wirkliches Landleben führen. Ihr, die ihr in der Hauptstadt glänzet, habt Vorurtheile, von denen ihr zurückkommen müßt: ihr bildet euch ein, in ganz Frankreich den Ton anzugeben und drei Viertel von Frankreich wissen von euerem Dasein nicht. Die Bücher, welche in Paris durchfallen, machen die Buchhändler der Provinz reich.
    N. Nun, und Sie wollen jene auf Kosten der unsrigen bereichern?
    R. Spotten Sie nur. Ich wanke nicht. Wenn man nach Ruhm strebt, so muß man darauf hinarbeiten, daß man in Paris gelesen werde, wenn man nützen will, in der Provinz. Wie viele brave Leute bringen ihr Leben auf entfernten Gütern hin, bauen ihr väterliches Erbe und betrachten sich wie ausgeschlossen von der Welt, weil sie wenig bemittelt sind. An den langen Winterabenden, wann sie keine Gesellschaften haben, vertreiben sie sich an ihrem Kamine die Zeit damit, unterhaltende Bücher zu lesen, die ihnen gerade in die Hände fallen. In ihrer bäuerischen Einfalt wollen sie weder mit Literatur noch mit schönem Geist groß thun; sie lesen, um sich zu vergnügen, und nicht um sich zu unterrichten; moralische und philosophische Bücher sind für sie so gut wie nicht da: ihretwegen brauchten diese nicht geschrieben zu werden; sie dringen nie bis zu ihnen. Aber weit entfernt, ihnen etwas zu bieten, was für ihre Lage paßt, dienen euere Romane nur dazu, ihnen dieselbe noch unerträglicher zu machen. Sie machen ihnen ihren einsamen Wohnort zu einer schrecklichen Wüste, und für einige Stunden Zerstreuung, die sie ihnen gewähren, bereiten sie ihnen Monate des Mißbehagens und eitler Klagen. Warum sollte ich nicht annehmen, daß durch einen glücklichen Zufall dieses Buch, gleich so vielen anderen noch schlechteren, einem dieser
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