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Julian und das Ende der Nacht

Titel: Julian und das Ende der Nacht
Autoren: Christine Cara Wagner
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Kairon.

14
    Julian atmete tief ein und ließ die warme Sommerluft durch seine aufgewühlte Seele strömen. Sein Herz schrie nach Sara. Sein Kopf nach Erkenntnis und seine Kehle nach Blut. Durstig beobachtete Julian wie Henry seinen Hunger an einem alten Mann stillte, dem er vor zwei Minuten in einer dunklen Gasse den Garaus gemacht hatte.
    „Hast du je daran gedacht, dass unser Blutdurst einem Mann die Frau nimmt, einer Mutter ihr Kind oder dem Enkel seinen Großvater?“
    Erstaunt blickte Henry auf. „Du denkst über dein Essen nach?“
    „Unser Essen hat einen Herzschlag, ein Leben!“, gab Julian zu bedenken.
    Henry erhob sich unbeeindruckt. „Trink, bevor das ganze Blut im Erdreich versunken ist.“
    Vom Hunger getrieben, kniete Julian nieder und legte seine Lippen auf die offene Wunde. Schuldgefühle plagten Julian, wie immer, wenn der rote Saft eines Sterblichen durch seine Kehle rann, doch wie so oft, hatte sein Hunger sein Gewissen besiegt.
    „Wir sollten uns auf den Heimweg machen. Wie ich meine Schwägerin kenne, versucht sie bestimmt wieder, meine Frau davon zu überzeugen, dass ich der Teufel bin.“
    Julian blickte auf. „Nach allen was du mir erzählt hast, kann ich ihr das nicht übel nehmen.“
    „Ich hoffe, du bist satt, da hinten kommen Leute.“ Henry zog Julian am Kragen seines Mantels hoch. „Beeile dich.“ Beide verschwanden in die Dunkelheit einer angrenzenden Straße.

15
    Luisa wurde durchflutet von einem Glücksgefühl, welches sie völlig berauschte. Unsterblichkeit war das Wort, das Luisa beherrschte und sie vorantrieb, einen Sohn der Nacht zu finden. Die Ewigkeit in Richards Armen zu verbringen erschien Luisa verführerischer, als die Vorstellung, für immer sechsundzwanzig zu bleiben. Seit zwei Stunden schlich sich Luisa hoffnungsvoll an jedes leer stehende Haus heran und fand nur Staub und Ratten. Unter dem Licht einer Straßenlaterne blieb Luisa stehen und streifte sich die roten Pumps von ihren schmerzenden Füßen und atmete befreit auf. Luisas Blick wanderte zum Ende der abgelegenen Straße, wo eine leer stehende Lagerhalle ihre Aufmerksamkeit erregte. Ein Mann trat aus dem Gebäude und Luisa gefror das Blut in den Adern. Er war in Schwarz gekleidet, sein ebenfalls schwarzes Haar reichte ihm bis zur Schulter. Luisa musste nicht in seine Augen sehen, um zu wissen, dass er ein Sohn der Nacht war. Luisas Gedanken überschlugen sich, ihr Herz hämmerte ängstlich. Die Söhne der Nacht waren Halbgötter, sie töteten Menschen, sie tranken Blut. Sie war ein Mensch, sie hatte Blut und sie stand im Licht. „Lauf' weg“ schoss es ihr durch den Kopf. Luisa wandte sich um und erstarrte. „Was für ein leckeres Geschöpf“, flüsterte eine erotische Stimme und grüne Augen musterten sie aufmerksam. Panik überfiel Luisa. Sie konnte nicht mehr fliehen, grüne Augen waren vor ihr, grüne Augen waren hinter ihr. Luisa war gefangen, verloren und dem Tod geweiht. Luisa hörte den Mann, der vor dem Gebäude gestanden hatte, näher kommen. Er presste sich an sie heran, Luisa spürte seinen Atem im Nacken. Der Mann vor ihr zog ein Messer aus dem Hosenbund, bevor Luisa noch einen weiteren Atemzug spüren konnte, beendete eine scharfe Klinge ihr Leben. Hank fing den leblosen Körper auf. „Die Kleine hatte wirre Gedanken.“
    „Ich weiß, sie schien zu glauben, dass unser Blut Richard aus der Unterwelt befreit“, erwiderte Jake. „Jared hatte mit Richard zu tun, falls er wieder auftaucht, fragen wir ihn, was das bedeutet.“
    „Hunger?“ Jake warf Hank Luisas Körper in die Arme.
16
    Sara rang nach Luft, zu sehr hatte ihr die Wahrheit über Avatare, Auserwählte und Söhne der Nacht zugesetzt und doch schlug ihr Herz voll Euphorie. Die Mauer, hinter der Sara seit Jahrzehnten unberührt von Zeit und Liebe leben musste, war eingestürzt, nun führte ein Weg in die Zukunft, nun gab es ein Morgen, Möglichkeiten, ein Schicksal, auch für sie. Diana, die Sara am Küchentisch gegenübersaß, seufzte verträumt: “Es war so romantisch, wie Julian dich auf seinen starken Armen ins Haus getragen hat.“
    Lara stieß Diana unsanft in die Seite. „Er hätte Sara Gabriel überlassen sollen, er hätte sich teleportieren können. Julian hat Sara unnötig in Gefahr gebracht.“
    „Ist Julian ein Avatar?“, fragte Sara leise. Lara holte tief Luft und öffnete ihren Mund.
    „Sei still!“, zischte Diana. Amanda, die neben Sara saß, ergriff das Wort: “Die Söhne der Nacht sind nicht alle
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