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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette
Autoren: Joachim Masannek
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Graffiti-Burgen hinter dem Finsterwald in der Steppe wurde schließlich nie was im Fernsehen gebracht.
    Also marschierte ich weiter, und während ich die Steppe durchquerte, versuchte ich die Ratten nicht mehr zu sehen. Es war ja auch gar nicht so schlimm. Ich würde nur die Klingelschilder an den drei Mietskasernen nach einem Herrn Michael Marsmann durchsuchen, und sobald ich meinen Vater gefunden hätte, würde der mich beschützen.
    Ja, davon war ich fest überzeugt, als ich den Parkplatz zwischen den Graffiti-Burgen erreichte.
    Der Wind pfiff um den grauen Beton. Die Türme ächzten und knarrten, als wären sie lebendige Monster, die gleich aufwachen würden, und die Graffitis an den Wänden erzählten ausführlich, was dann mit einem passiert. Hilfe suchend schaute ich auf meinen Unterarm und suchte mein neues Tattoo. Doch im Vergleich zu den Bildern und Sprüchen auf den Fassaden wirkte mein Wilder Kerl wie ein Abziehbild aus einer Kaugummipackung.
    Hühnerkreuz und Kümmelkacke! Hatte ich Schiss! Doch ich hab euch am Anfang dieser Geschichte gewarnt. Ich hab’s euch gesagt: „Sucht euch einen sicheren Ort! Am besten mit dem Rücken zur Wand, und haltet immer eine Taschenlampe bereit!“ Nun, vielleicht hab ich da untertrieben. Das tut mir echt leid, doch jetzt ist es für einen Rückzug zu spät.
    Oder auch nicht. Immerhin war ich allein. Kein Dicker Michi oder anderer Mistkerl lungerte auf dem Parkplatz herum. Deshalb ging ich mit geballten Fäusten auf den Eingang des ersten Mietshauses zu. Das Glas der Eingangstür war zersprungen. Es sah wie ein Spinnennetz aus, und ich betete heimlich, dass in ihm nichts mehr wohnte. Dann begann ich die Klingelschilder zu lesen.
    „Marsmann, Marsmann, Marsmann“, flüsterte ich beschwörend, doch je länger ich suchte, umso mehr verließ mich der Mut. Nein, hier wollte ich kein Briefträger sein. Die meisten Schilder waren abgerissen oder verrostet. Manchmal waren sie dutzendfach überklebt, und am Ende dachte ich fast, dass die Menschen, die hier wohnten, keine Namen besaßen.

    Trotzdem gab ich nicht auf. Immerhin schlug die Gunst der Stunde für mich. Der Dicke Michi und seine Unbesiegbaren Sieger waren nicht da, und vielleicht hatte ich Glück. Vielleicht gab es ja einen Mieter namens Marsmann in einem der anderen Häuser.
    Langsam ging ich durch die Autos auf dem Parkplatz auf den zweiten Turm zu. Manchmal sah es so aus, als huschten Schatten um mich herum. Doch ich ignorierte sie einfach. So wie die Ratten der Steppe. Dann schlug die Eingangstür des zweiten Mietshauses vor mir ins Schloss. Ich zuckte zusammen und blieb bewegungslos stehen. Leises Kichern ertönte, doch ich konnte niemanden sehen. Schließlich überzeugte ich meine Angst, dass dieses Kichern nur in meinem Kopf existierte. Dann ging ich weiter und stieg die Treppe zur zweiten Mietskaserne hinauf.
    Hier war alles ganz anders. Die Eingangstür war noch heil und die Klingelschilder waren sauber beschriftet.
    „Marsmann! Marsmann! Marsmann!“, begann ich zu lesen, und „Marsmann! Marsmann! Marsmann!“, erklang es gleichzeitig in meinem Kopf.
    Ja, und dann schien es auf einmal um mich herum wie in einem Mülleimer zu stinken. „Pfui Teufel!“, dachte ich und schnappte nach Luft. Doch mein Atem rasselte plötzlich wie der eines uralten Pottwals, der einmal um die ganze Welt getaucht war. Dann begriff meine Angst den Beschiss. Ich hatte sie angelogen. Das Kichern war so wenig in meinem Kopf gewesen wie das „Marsmann! Marsmann! Marsmann!“, das ich immer noch hörte.
    „Kreuzhuhn und Kümmelkacke!“, begann ich zu beten. „Bitte, lieber Gott, lass es nicht wahr werden, was ich gerade denke.“
    Mit diesen Worten drehte ich mich ganz langsam um und sah dem Dicken Michi direkt ins Gesicht.
    „Hallohoh!“, schnaufte er. „Ich bin der Dicke Michi vom Mars. Und ich komme natürlich in Frieden!“
    Ich schaute ihn an, als hätte ich kein Wort verstanden. Für einen Moment überlegte ich, ob ich zum Himmel hochschreien sollte, dass ich gerade ein Gebet abgesandt hatte: „Bitte, lieber Gott, lass es nicht wahr werden, was ich gerade denke.“ Ja, das hatte ich klar und deutlich verlangt. Aber dann beschloss ich, mich diesmal auf mich selbst zu verlassen.

    Blitzschnell fuhr ich herum und suchte mein Heil in der Flucht. Doch nicht mal auf mich selbst konnte ich mich in diesem Moment verlassen.
    Hinter mir öffnete sich die Tür, und Krake, Sense und Kong sprangen mir direkt in den Weg. Ich saß
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