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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette
Autoren: Joachim Masannek
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jeden von uns ins Visier.
    „Bolzplatz! Das ist ja lächerlich! In was für einer Welt lebt ihr denn?“
    Wir schluckten und traten nervös auf der Stelle. Ja, wenn ich ehrlich bin, hatten wir nicht die leiseste Ahnung davon, was wir falsch gemacht hatten. Doch Willi ballte die Fäuste. So wütend war er.
    „Bolzplatz! Ich kann es nicht fassen! Jetzt passt mal ganz genau auf! Der, der sich anmaßt und dieses Stadion noch ein einziges Mal als ,Bolzplatz‘ bezeichnet, den will ich nie wieder sehen! Ist euch das klar!“
    Wir schauten uns an und verdrehten die Augen. „Was ist bloß in Willi gefahren?“, fragten wir uns.
    Der aber legte noch einen Zahn zu: „Ich hab euch eine Frage gestellt! Ist euch das klar?“
    Mit funkelnden Augen wartete er auf unser Nicken. „Gut! Dann kann ich es euch ja endlich erzählen!“, grummelte er, und für eine Nanosekunde huschte ein Schmunzeln aus dem Schatten seiner Baseballkappe heraus.
    „Ab heute spielt ihr in einer richtigen Liga. Ihr habt eine eigene Division – die Gruppe 8 der E-Jugendmannschaften. Und am nächsten Samstag geht es schon los. Dann beginnt der Kampf um die Meisterschaft. Ja, und der findet bestimmt nicht auf einem Bolzplatz statt. Dafür braucht es eine Arena.“
    Jetzt konnte Willi sein Schmunzeln nicht mehr unter der Mütze verstecken. „Willkommen im Teufelstopf , dem Stadion der Wilden Fußballkerle e.W. !“
    Mit diesen Worten drehte sich Willi zum Kiosk herum, ergriff einen riesigen Hebel, der an einem uralten Stromkasten angebracht war, und kippte ihn ächzend und quietschend nach unten. Funken sprühten auf, sodass wir uns alle erschreckten. Es britzelte, zischte und knackte und knallte, und obwohl Willi mit Sicherheit kein Elektriker war, flammten jetzt nacheinander an sechs um das Fußballfeld aufgestellten Pfählen Baustrahler auf.
    „Kreuzkümmel und Hühnerkacke!“, staunte ich.
    „Das ist ja ’ne waschechte Flutlichtanlage!“, rief Raban begeistert.
    „Was hast du denn gedacht?“, lachte Leon, der seit dem Spiel gegen den Dicken Michi und seine Unbesiegbaren Sieger unser Anführer war. „Dass das ’ne Sandkiste ist? Verflixt! Du stehst hier im Teufelstopf “, rief er und nahm sich eine der Apfelsaftschorlen, die Willi verteilte. „Dem wildesten Stadion in der Division 8!“

    „Auf Willi!“, hob Marlon, Leons Bruder, der schon zehn war, die Flasche.
    „Ja, auf Willi, den Teufelstopf und die Flutlichtanlage!“, jubelte Raban. Und Joschka, mein kleiner Bruder, rief so laut er konnte: „Dem wildesten Stadion in der Dimension 8!“

Tattoos und andere Träume
    Natürlich trainierten wir an diesem Tag bis in die Nacht. Die Flutlichtanlage im Teufelstopf musste doch eingeweiht werden. Dann gingen wir alle nach Hause. Wir legten uns in unsere Betten, und als unsere Eltern endlich davon überzeugt waren, dass wir fest schliefen, trafen wir uns auf Camelot. So nennen wir unser Baumhaus. Ich habe es zusammen mit Joschka drei Stockwerke hoch in unseren Garten gebaut, und spätestens an dem Tag, an dem uns der Revolverheld zum Aufstand gegen die Bayern aufrief, war es zu unserer Zentrale geworden.
    Wie immer, wenn es etwas Wichtiges zu tun gab, in großer Gefahr oder in großen Momenten, stellten wir das alte Holzfass, den Amboss, in unsere Mitte. Einer nach dem anderen legten wir unsere Unterarme auf den abgewetzten Fassboden. Und während Willi, der natürlich dabei war, seine Geschichten erzählte, Geschichten über Franz Beckenbauer, Gerd Müller oder Pelé, malte Marlon jedem von uns mit einem schwarzen, wurzelbürstenfesten Lackstift ein fast echtes Tattoo auf den Arm: Den Wilden Kerl über gekreuzten Knochen. Das passte zum Teufelstopf und zu unseren Spielerverträgen, die wie Piratenschatzkarten aussahen. Das passte zu Willis Geschichten, die uns in diesem Moment atemlos werden ließen, als er von Katsche Schwarzenbecks Schuss im ersten Europameisterschaftsendspiel der Bayern erzählte, und das passte zu unseren Träumen.

    Zu den Träumen von einer eigenen Liga, von Siegen mit der besten Fußballmannschaft der Welt und von einem Leben mit den Wilden Kerlen , in dem man jedem vertrauen und in dem man sich auf jeden verlassen konnte.
    „Hey! Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte mich plötzlich Vanessa. Sie stand in der Tür des Baumhauses und musterte mich.
    Ich schaute überrascht zu ihr auf. Dann sah ich mich um. Außer Vanessa, Marlon und Leon waren alle gegangen. Kümmelkreuz und Hühnerkacke! Was war mit mir los?
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