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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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entscheidenden Sätze dieses Romans: »Das Leben ist eine Frage der Form. Es hat seine plastische Gestalt und seine scharf umrissenen Grenzen. Die idealsten Begriffe von Liebe und Verzeihung müssen erst Fleisch und Blut gewinnen, bevor sie verständlich werden«, könnten als Motto über dem ganzen Lebens werk Conrads stehen. Sie werden zwar nur von einem kleinen englischen Sprachlehrer geäußert, dessen nüchterne Figur einen ironischen Kontrast zu den abenteuerlichen Gestalten aus dem Osten bildet, aber sie enthalten die vornehmste Bedingung eines »Pakts mit dem Schicksal«, den die westlichen Kulturländer geschlossen haben und an den auch Conrad sich hielt. Es ist der gleiche »Pakt«, den Dostojewski verhöhnte, als er über den gepflegten, unproblematischen Romanen der George Sand das mystische Labyrinth seiner Riesenwerke aufführte.

    Nach diesem »Kampf gegen die Mächte der Finsternis« hat Conrad sich wieder der See zugewandt, die »wenigstens harte Schläge gab und manchmal eine Chance, seine Kraf zu zeigen«. Er mochte wohl fühlen, daß man mit dem »Chaos der Natur« nie fertig wird. Die fortwährende Notwendigkeit dieses Kampfes machte ihn so empfindlich gegen das Wort »Seedichter« – doch sie allein regte seine Einbildungskraf an. Es scheint, daß seine Phantasie immer aufs neue den zwanzigjährigen Kampf gegen die elementaren Naturgewalten wiederholte, den er geführt hatte. Er lebte noch einmal, während er schrieb. Seine Notizen beachtete er kaum. Über die erste Reise nach dem Kongo hatte er zum Beispiel ein genaues Tagebuch geführt, aber als er diesen Stoff zu der prachtvollen Novelle »Das Herz der Finsternis« verarbeitete, rührte er seine Aufzeichnungen nicht an. Die Intensität des Nacherlebens schien ihm wichtiger zu sein als das Ausruhen auf Dokumenten. Ja, obschon er alle Meere der Welt bereist hat, läßt sich nicht einmal sagen, daß seine Landschafsschilderungen, die von der ganzen Glut des Südens erfüllt sind, immer auf wirklichen Erlebnissen beruhen. So ist er dem Schauplatz seines vielbewunderten südamerikanischen Romans »Nostromo« niemals nahegekommen. Drei ganze Tage in Venezuela und eine phänomenale Kenntnis der südamerikanischen Geschichte – das genügte ihm für eine Erzählung, die in Südamerika als höchst charakteristisch für das Land angesehen wird. Die ganze Atmosphäre ist erfunden.
    Noch merkwürdiger mag erscheinen, daß Conrad seine Studien zum »Nigger vom Narcissus« bei dem großen Realisten des französischen Spießbürgermilieus, bei Gustav Flaubert, machte. Conrad liebte Flaubert und Anatole France sehr, aber natürlich läßt sich der Gegensatz, der zwischen der berühmten Sturmschilderung aus dem »Nigger vom Narcissus« und dem gemächlichen Lebenstempo der französischen Provinz herrscht, nicht übersehen. Doch Conrad betrachtete das Meer und den Sturm nicht als die Hauptsache, sondern die Menschen – in diesem Fall also den schwindsüchtigen Neger, der krank in der Koje liegt und die Illusion der Gesundheit festzuhalten sucht, während die Elemente der Vernichtung um ihn rasen. Sein verzweifeltes Ringen mit dem Tod ergreif das ganze Schiff, seine Atemzüge sind der Sturm, sein Selbstbetrug bringt die Mannschaf in Aufruhr, und erst sein Tod verwandelt den Orkan in eine frische Brise: das Grauen der Zerstörung ist vollendet, die Chimären haben eine Zeitlang gutes Wetter … Die Figur dieses Niggers hat Conrad nach den Negertypen aus Flauberts historischem Roman »Salammbô« erdacht und gearbeitet. Deutlicher läßt sich wohl nicht zeigen, wie wenig man in der Literatur aus der bloßen Wahl des Stoffes schließen darf – wieviel aber aus der dahinterstehenden Idee. Im »Nigger vom Narcissus« ist die Idee, das Versagen vernunfloser, barbarisch-naiver Vorstellungen gegenüber den Elementargewalten zu zeigen. Man wird zugeben, daß eine solche Apotheose der Vernunf eher französisch als etwa russisch genannt werden kann, und man wird verstehen, worin sich Conrad von gewöhnlichen Reiseund Abenteuerautoren unterscheidet: eben darin nämlich, daß er Ideen hat. Deshalb ist auch das wirkliche Abenteuerland seiner Figuren stets ihre – manchmal krankhafe – Ideenwelt, die sie um den Preis ihres Daseins verteidigen und deren Zusammenbruch sie nicht überleben. Es sind wahre Werther des Abenteuers. Mit krafstrotzenden Berichterstattern über ihr eigenes Heldenleben wollte Conrad nie etwas zu tun haben. Er lehnte es scharf ab, »für eine
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