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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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schaffen. Treten Sie morgen an.‹
    Ich trat an. Es war vor zweiundzwanzig Jahren; und ich war eben zwanzig. Wie die Zeit vergeht! Es war einer der glücklichsten Tage meines Lebens, Denkt euch nur! Zum erstenmal Zweiter Steuermann – ein wirklich verantwortlicher Offizier! Ich hätte meine neue Stellung nicht um alles in der Welt aufgegeben. Der Erste musterte mich sehr sorgfältig. Er war ebenfalls ein alter Geselle, doch von anderem Schlag. Er hatte eine römische Nase, einen schneeweißen, langen Bart, und er hieß Mahon, doch er bestand darauf, daß der Name ›Mann‹ ausgesprochen wurde. Er hatte einflußreiche Verwandte; aber irgendwie war ihm das Glück nicht hold gewesen, und er war nie vorangekommen.
    Was den Kapitän anlangt, so war er jahrelang in der Küstenschiffahrt gewesen, dann im Mittelmeer und schließlich in der Westindienfahrt. Er war um keines der Kaps herumgekommen. Er brachte nur eben eine Art Krakelschrif zustande und hielt überhaupt nicht viel vom Schreiben. Beide waren natürlich von Grund auf gute Seeleute, und zwischen diesen alten Gesellen kam ich mir wie ein kleiner Junge zwischen zwei Großvätern vor.
    Das Schiff war gleichfalls alt. Es hieß Judea. Sonderbarer Name, nicht wahr? Es gehörte einem Mann namens Wilmer, Wilcox – oder so ähnlich; doch er ist schon gute zwanzig Jahre bankerott und tot, und sein Name tut nichts zur Sache. Die Judea hatte endlos lange im Shadweller Hafenbekken aufgelegen. Ihr könnt euch ihren Zustand vorstellen. Sie war über und über mit Rost, Staub und Schmutz bedeckt – die Toppen voller Ruß, das Deck verschmutzt. Für mich war es, als käme ich aus einem Palast in eine zerfallene Bauernkate. Die Judea war ungefähr vierhundert Tonnen groß, hatte ein altmodisches Ankerspill, hölzerne Türriegel, und nicht das kleinste Stück Messing war zu sehen. Auf ihrem breiten Plattgatt stand in großen Lettern der Name des Schiffes, und darunter war eine Menge Schnörkelwerk angebracht, von dem die Vergoldung abgeblättert war und das eine Art Wappen mit der Devise ›Kämpfen oder untergehen‹ umgab. Ich weiß noch, wie gewaltig mich diese Devise anzog. Ein Hauch Romantik lag darüber, etwas, das mir den alten Kasten lieb und teuer machte – etwas, das meine Jugend für ihn einnahm!
    Wir verließen London mit Ballast – Sandballast –, um in einem nördlichen Hafen eine Ladung Kohle für Bangkok überzunehmen. Bangkok! Ein Schauer durchrieselte mich. Ich war sechs Jahre zur See gefahren, hatte jedoch nur Melbourne und Sydney gesehen, sehr anständige Plätze, reizende Plätze in ihrer Art – aber Bangkok!
    Wir liefen unter Segeln und mit einem NordseeLotsen an Bord aus der Temsemündung. Der Lotse hieß Jermyn. Er strich den lieben langen Tag um die Kombüse herum und trocknete sein Taschentuch vor dem Herd. Anscheinend schlief er nie. Er war ein trübsinniger Mann, dem beständig ein glitzernder Tropfen an der Nasenspitze hing, und der entweder Verdruß gehabt hatte, oder noch immer Verdruß hatte, oder doch Verdruß erwartete – der jedenfalls nur glücklich war, wenn irgend etwas schiefging. Er mißtraute meiner Jugend, meinem gesunden Menschenverstand und meinem seemännischen Können, und er ließ es sich angelegen sein, mir das auf hunderterlei Arten zu spüren zu geben. Nun, er hatte recht. Schließlich wußte ich damals noch herzlich wenig, und auch jetzt weiß ich nicht viel mehr; doch bis auf den heutigen Tag hege ich einen Haß gegen Jermyn.
    Wir benötigten eine Woche bis Yarmouth Roads, und dann gerieten wir in einen Sturm – den berüchtigten Oktobersturm vor zweiundzwanzig Jahren. Alles kam zusammen: Wind, Blitz, Hagel, Schnee und eine fürchterliche See. Wir hatten zu wenig geladen, und ihr werdet eine Vorstellung davon bekommen, wie schlimm es war, wenn ich euch sage, daß das Schanzkleid zertrümmert und das Deck überflutet wurde. In der zweiten Nacht ging der Ballast nach Lee über, und mittlerweile waren wir schon nach der Doggerbank verschlagen worden. Uns blieb nichts übrig, als mit Schaufeln hinunterzusteigen und zu versuchen, das Schiff wieder aufzurichten, und da standen wir denn in dem riesigen Laderaum, der düster wie eine Höhle war. Die Talgkerzen an den Raumbalken flackerten, der Sturm heulte über uns, das auf der Seite liegende Schiff wurde wie toll hin und her geschleudert; wir packten alle mit an: Jermyn, der Kapitän, jeder beteiligte sich an dieser Totengräberarbeit – wiewohl wir uns kaum auf den
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