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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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zum Spekulativen, der sie hervorbringt. Seine Natur drängte nach tätiger Bewährung. Polen zu befreien, schien unmöglich. Nur ein Don Quichotte konnte davon träumen. Conrad wollte zeigen, daß es noch eine andere Wirklichkeit gab als die der Windmühlen. Die überlegene, fühllose Gewalt des Meeres erschien ihm wie ein Symbol für die barbarische Herrschaf jener Nation, deren uferloser Mystizismus, mit den Augen des Westens betrachtet, nur ihre kalte Grausamkeit verbarg. Es galt zu beweisen, daß die Elemente bezwungen werden konnten. Ob sie Rußland hießen oder Großer Ozean – darauf kam es nicht an. Es kam auf den Menschen an, der sich ihnen auszusetzen wagte. Nie hätte sich ein gewöhnlicher Abenteurer so tief mit einem wesensfremden Element eingelassen wie dieser polnische Aristokrat.
    Auch in Conrads Büchern kommt es auf die Menschen an, nicht auf die Romantik der weiten Horizonte. Wenn man seine Gestalten betrachtet, so bemerkt man bald, daß selbst die Seeleute unter ihnen sehr selten gleichmütig oder abgestumpf sind wie echte Engländer, sondern empfindsam und problematisch, von Zweifeln geplagt und im Grunde heimatlos. Gerade diese schwankende Charakteranlage der unbarmherzigen Naturgewalt gegenüberzustellen, interessierte Conrad. Hier hatte sich die Substanz eines Mannes zu erweisen – oder die weiche Stelle in seinem Wesen wurde aufgerissen und zog Wasser wie ein Leck. Die Bewährung der Innerlichkeit selbst enthüllt sich als das schwierigste aller Abenteuer. Wie im Sturm an ein elendes Boot, klammern sich die Menschen an die Chimären ihrer Seele; wenn das Boot versagt, versagt die ganze Welt – es gibt keine Gnade.
    Conrad hat nichts mehr gehaßt als jene russische Idee der Erlösung durch Mitleid, wie Dostojewski und Tolstoi sie vertreten. »Diese beiden verleugnen alles, wofür ich kämpfe«, war seine Redensart. Er nannte Dostojewski »eine grimassierende Spukgestalt, die unter einem Fluch steht«, und behauptete, daß in den Werken des Russen »das Chaos siege« – das gleiche Chaos, dem die Gestalten seiner eigenen Bücher täglich und stündlich mit der vollen Kraf ihres Daseins Trotz boten. Einmal hat Conrad Galsworthy gegenüber einen Ausspruch getan, der den ganzen Gegensatz deutlich hervortreten läßt. Er sagte: »Dostojewskis Bücher sind tief wie das Meer.« Der Binnenländer Conrad liebte die Tiefe des Meeres nicht, der er sich zwanzig Jahre lang ausgesetzt hatte; er liebte die menschliche Vernunf. Conrad hätte ebensogut sagen können: »Der russische Geist ist tief wie das Meer«, und jeder, der seinen Kampf gegen das unberechenbare Element kannte, hätte ihn verstanden.
    Es gibt kaum ein interessanteres Gegenstück zu den Romanen Dostojewskis als Conrads »Mit den Augen des Westens«. Obgleich man vermuten darf, daß Conrad den Russen noch nicht gelesen hatte, als er »Mit den Augen des Westens« schrieb (er sprach kein Wort russisch und lernte die englische Übersetzung der »Karamasows« erst später kennen), wirkte sein Roman wie eine bewußte Auseinandersetzung mit dem epischen Weltbild Dostojewskis. Alle irrationalen Spannungen, in denen die russische Seele existiert, werden von Conrad entzaubert, und nun schrumpfen so überlebensgroße Figuren wie Raskolnikow und Dmitri Karamasow zu kleinen, eitlen Verschwörern zusammen, die an nichts glauben als an ihren eigenen Zynismus. Es mangelt ihnen nicht an schönen Gefühlen, und selbst wenn sie einander bespitzeln und verraten, geschieht es im Namen erhabener Gedanken. Ihr Gesetz ist das einer absoluten Formlosigkeit, die sich hinter einer undurchsichtigen Mystik versteckt. Wenn ein »charaktervoller Revolutionär« halb aus Furcht, halb aus Bequemlichkeit einen »Gesinnungsgenossen« der Polizei ausliefert, dann sich in die Schwester des Hingerichteten verliebt und gleichzeitig ihre Kreise bespitzelt, wenn schließlich ein »wirklicher Terrorist« den Verratenen rächt, aber bald darauf selber als Spitzel entlarvt wird – so spiegelt sich, nach Conrads Absicht, in diesem trüben Bild schrankenloser Willkür und gewalttätiger Launen nicht nur das wahre Wesen der russischen Seele, sondern das Chaos der unbeherrschten, vom Menschen nicht geformten Natur überhaupt. Der russische Nihilismus ist ebenso wüst, gesetzlos und unmenschlich wie die rohen Elementargewalten. Derart fügt sich »Mit den Augen des Westens« in den Kreis der anderen Werke Conrads ein, obgleich es nicht von Meeren und Stürmen handelt. Die
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