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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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Stunden lang gepullt. Zwei Mann pullten, und derjenige, der gerade an der Reihe war auszuruhen, saß am Steuerriemen. Wir hatten das rote Licht in jener Bucht ausgemacht und hielten darauf zu, in der Annahme, daß es einen kleinen Küstenhafen bezeichne. Wir kamen an zwei Booten vorüber, fremdländischen Fahrzeugen mit hohem Heck, die vor Anker liegend schliefen, und als wir uns dem Licht näherten, das jetzt sehr schwach leuchtete, stießen wir mit dem Steven des Bootes gegen den Molenkopf. Wir waren blind vor Erschöpfung. Meine Leute ließen die Riemen sinken und fielen wie tot von den Duchten herunter. Ich machte an einem Pfahl fest. Eine sanfe Strömung kräuselte das Wasser. Das dufende Dunkel der Küste gliederte sich in riesige Massen, die dichten Schatten gewaltig wuchernder Vegetation – stumme, phantastische Gebilde. Und darunter schimmerte schwach der Halbkreis des Strandes, wie eine Spukerscheinung. Nirgends ein Licht, eine Bewegung, ein Laut. Der rätselhafe Osten sah mich an, dufend wie eine Blume, schweigend wie der Tod, dunkel wie das Grab.
    Und da saß ich, unsäglich müde, frohlockend wie ein Eroberer, schlaflos und bezaubert, als stünde ich vor einem abgründigen, einem schicksalvollen Rätsel.
    Das Klatschen von Riemen, deren gleichmäßiger Schlag auf der Wasserfläche widerhallte und gegen die Stille des Gestades wie lautes Getöse wirkte, ließ mich auffahren. Ein Boot, ein europäisches Boot, kam herein. Ich beschwor den Namen der Toten; ich rief: Judea ahoi! Ein schwacher Ruf antwortete mir.
    Es war der Kapitän. Ich hatte das Flaggschiff um drei Stunden geschlagen, und ich freute mich, des alten Mannes Stimme wieder zu hören, zittrig und erschöpf. ›Sind Sie es, Marlow?‹ ›Geben Sie acht auf den Molenkopf, Kapitän‹, rief ich.
    Er kam behutsam näher und machte mit der Tiefsee-Lotleine fest, die wir gerettet hatten – für die Versicherungsgesellschaf. Ich fierte meine Fangleine etwas auf und kam längsseits. Da saß er, eine in sich zusammengesunkene Gestalt, im Heck, naß vom Tau, die Hände im Schoß gefaltet. Seine Leute schliefen schon. ›Es war fürchterlich für mich‹, murmelte er. ›Mahon ist hinter uns – nicht sehr weit.‹ Wir unterhielten uns flüsternd, sehr leise flüsternd, als fürchteten wir, das Land zu wecken. Kanonen, Donner, Erdbeben hätten die Mannschaf damals nicht aufwecken können. Als ich mich einmal, während wir uns unterhielten, umsah, erblickte ich weit draußen auf See ein helles Licht, das durch die Nacht glitt. ›Da fährt ein Dampfer an der Bucht vorüber‹, sagte ich. Er fuhr nicht vorüber, er fuhr herein und kam sogar dicht heran und ging vor Anker. ›Könnten Sie wohl feststellen‹, sagte der alte Mann, ›ob es ein englisches Schiff ist. Vielleicht nehmen die uns irgendwohin mit.‹ Er schien furchtbar besorgt. Also brachte ich durch Rütteln und Fußtritte einen meiner Leute in schlafwandlerische Bewegung, gab ihm einen Riemen in die Hand, nahm selber den anderen und pullte auf die Lichter des Dampfers zu.
    Gemurmel war zu hören auf dem Schiff; metallisch dumpfes Klirren im Maschinenraum, Schritte an Deck. Die Bullaugen leuchteten wie weit aufgerissene Augen. Gestalten bewegten sich dahinter, und hoch oben auf der Brücke stand ein schattenhafer Mann. Er bemerkte den Schlag meiner Riemen.
    Und dann, noch ehe ich meinen Mund aufun
    konnte, sprach der Osten zu mir, doch mit einer westlichen Stimme. Ein Wortschwall ging in der rätselhafen, der schicksalsvollen Stille über mich hernieder; fremdländische, zornige Worte, vermischt mit Worten, ja ganzen Sätzen in gutem Englisch, die weniger fremd, aber um so überraschender wirkten. Die Stimme fluchte und stieß wüste Verwünschungen aus; sie zerriß den feierlichen Frieden der Bucht mit ihren Schmähsalven. Sie begann, mich Schwein zu nennen und steigerte sich zu unaussprechlichen Adjektiven – und zwar in Englisch. Der Mann dort oben tobte in zwei Sprachen, und noch dazu mit einer solchen Offenherzigkeit, daß ich beinahe zu der Überzeugung gelangte, ich hätte mich irgendwie gegen die Harmonie des Universums vergangen. Ich konnte ihn kaum sehen, doch ich begann zu fürchten, er steigere sich noch in einen Tobsuchtsanfall.
    Plötzlich verstummte er, und ich hörte ihn wie
einen Tümmler schnaufen und prusten. Ich sagte:
›Was für ein Dampfer ist das, bitte?‹
›Wie? Was ist das? Und wer sind Sie?‹
    ›Schifrüchige einer englischen Bark, die auf See verbrannte. Wir
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