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Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Titel: Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Autoren: Juergen Zoller Selbst
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Bahnhof durch den Wald zur Schule. „Hoffentlich komme ich erst an, wenn er schon weg ist“ Das war das einzige, was ihm zu diesem Lehrer einfiel, Tag für Tag. Merkelbach gab gelegentlich auch Musikunterricht. Pfui Teufel, was für ein unmusikalischer Typ. Irgendwann reichte es Jürgen. Warum weiter Energie an so einen Laden verschwenden? Das führte zwangsläufig zu einer klassischen Situation: eines Morgens war alles da, Jürgen, die Schule … was fehlte, waren seine Hausaufgaben – oder zumindest die Zeit dazu, sie schnell noch irgendwo abzuschreiben. Also Plan C: „Ich hab’ solche Schmerzen hier in der rechten Seite“, begann er sich theatralisch im Angesicht der versammelten Pädagogenschaft zu quälen. „Oh, tut das weh …“, legte er noch nach. Der Pädagoge drückte auf den Bauch, Jürgen schrie, der Pädagoge zeigte sich beeindruckt. Sehr beeindruckt sogar. „Jaaa!“ Das funktionierte ja, oh Schreck. Der Pädagoge verordnete dringenden Arztbesuch, der Arzt verordnete allerdringlichsten Krankenhausbesuch. Der Krankenhausarzt verordnete gar ganz vordringliche Blinddarm-Entfernung. Das tat jetzt aber wirklich weh. Ein schwacher Trost konnte da nur sein, dass Merkelbach in diesen Tagen mit seinem Messerschmidt Kabinenroller in einer dieser unübersichtlichen „O du schöner Westerwald“-Kurven eine Flugrolle machte. „Er war drin gehängt wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist und nicht mehr hochkommt!“ brüllten die Schüler, schlugen sich auf die Schenkel und japsten, als die frohe Kunde aus dem Wald drang. Irgendjemand hatte den durchfeuchteten Pädagogen dann doch aus dem dreirädrigen Plexiglasbomber geschält und wieder auf die Beine gestellt.
    Gegen alle Merkelbachs der Welt half das Radio: Donnerstags setzte Gerda High Life in der Bahnhofstraße 37 in Hillscheid an, denn sie hörte gerne Radio, aber Donnerstags hörte sie noch gerner Radio, Radio mit Schuss. Und das ging so: Da kamen die Mädels, ihre Freundinnen und dann gab es Bügelsessions mit Weinbrandkonsum und einem Strauß bunter Melodien. Oder einem bunten Strauß beschwingter Melodien. Was da eben damals so rauströpfelte aus dem Radio. Operettenmelodien, Schlager. „Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“ sang Peter Alexander 1956. „Nur weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie …“ Aber es war nicht die Botschaft, die Jürgen vor den Lautsprecher zerrte und zog, es war das Medium. Ein großer Kasten von Graetz, mit aufklappbaren Lautsprechern. Bespannt mit einem kackbraunbeigegelbgoldenen hässlichen Stoff, den man aber so schön vibrieren sah, wenn die Bässe loslegten. Die legten auch los, wenn Gerdas Mädels mit dem Weinbrand erst mal losgelegt hatten. Zum Ins-Radio-Reinkriechen. Stereo war das zwar nicht, aber Raumklang. So hieß das damals. Und bei „Raum“ schwang auch immer „Space“ mit, damals. Der Weltraumwettlauf zwischen den Amis und den Russen hatte gerade begonnen, und wer Raumklang hatte, der flog bestimmt auch bald zum Mond, das musste einfach so sein. Neben dem sichtbaren Bass das grüne Auge, das magische Auge. Wenn es ganz auf war, schaute es dich an wie ein grüner, voller Mond und sagte: „So, hier bin ich, dein Sender, in voller Raumklang-Qualität. Und jetzt sauge ich Dich ein.“ Jürgen war drin. Saß in den Bässen, egal welches musikalische Grauen sie begleiteten. Es war ihm gleichgültig. Und da war es wieder. Er konnte es nicht erklären. Aber es musste so was ähnliches sein, wie damals zwischen Schule und Kindergarten. Die steile Straße. The Lonely Road. Da brauchte es schon einen steady groove, damit man nicht den Abhang hinunterkollerte. Dadaah dadam. Es wurde lauter, 2,5 auf der nach oben offenen Zappel-Skala.
    „Ab in die Badewanne!“ Diesen Satz gab es nur bei Oma Maria zu hören. Gerdas Mutter und ihr Mann Engelbert hatten eine, die Zöllers in Hillscheid badeten samstags alle nacheinander im Waschzuber. In Köln-Bickendorf wohnten Maria und Engelbert, und in den Ferien fuhr Jürgen dorthin. Ein Sozialbau in einem Arbeiterviertel. Zweizimmerwohnung, Küche, kleines Klo. Er war gerne dort, nicht nur wegen der Badewanne. Schon der Blick aus dem Fenster in den Hinterhof war ganz anders als in Hillscheid: oh Mann, was für ein riesiger Innenhof! Er zählte die Wohnhäuser – ein Dutzend mit je vier Stockwerken. Unten spielten Kinder, die Mütter hängten die Wäsche an die Leinen vor den Kellereingängen. Viel aufregender als daheim. Daheim
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