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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Stellungen gebracht, an ihr waren sie heraufgeklettert. Jeden Groschen, jeden Knopf an ihren Uniformendankten sie ihr. Zudem hatten sie einen förmlichen Vertrag mit ihr, hier in der Schublade hatte sie das Papier, einander in günstigen und in widrigen Umständen nach Kräften beizustehen. Die Hundsfötter, zu schlecht für die Hölle und den Schinder! Denn selbst jeder Pracher, Teufel und Spitzbub hält solche Verträge und Kumpanei.
    Der Jude sah still zu, wie sie wütete, ließ sie sich ausschäumen. Schließlich hustete sie, ihr Gesicht lief rot an, sie schnaufte, röchelte, weinte zuletzt haltlos, still vor sich hin. »Ach Jud«, jammerte sie, »ach Jud«, zerbrochen, geschüttelt, hemmungslos, die stolzen Stoffe hingen tot an ihr herunter.
    Isaak Landauer kämmte sich mit den Fingern den strähnigen Bart, wiegte den Kopf. Dann ergriff er, behutsam, ihre große, warme Hand, murmelte vor sich hin, streichelte sie.
    Gerüchte, niemand wußte woher, stoben im Lande auf von dem nahen Fall der Gräfin, hier, dort, an allen Ecken. Niemand wagte ein lautes Wort, aber flüsternd ging es durch alle. Es war ein großes, heimliches Aufatmen. In einzelnen Dörfern wurden schon Glocken geläutet, Dankgebete gesprochen, man verkündete nicht wofür, beließ es bei dem allgemeinen: für eine gnädige Fügung.
    Aber es wurde nichts anders vorläufig, im Gegenteil, der Druck wurde härter, erbitterter. Alte Beamte wurden ihrer Stellen entsetzt, weil ein neuer Bewerber ihr Amt höher bezahlte. Die Generalvisitation wütete gegen Gemeinden und Privatleute mit Anklagen und Inquisitionen, von denen man sich nur durch hohe Zahlungen lösen konnte; alle Staatsstellen, selbst das Kirchengut und die Witwen- und Waisenkassen wurden zu hohen und sehr unsichern unverzinslichen Darlehen an die Schatulle der Gräfin gezwungen; die Agenten der Gräfin schalteten herrischer und maßloser als je zuvor. Und als gar ein scharfes herzogliches Reskript erschien, das von neuem und nachdrücklich alle übeln Reden gegen die Gräfin mit schweren Strafen bedrohte, sanken auch die leichtestflügeligen Hoffnungen lahm zur Erde.
    Der engere Ausschuß des Parlaments, der Landschaft, hielt alle drei Tage Sitzung. Die Herren waren vom König von Preußen empfangen worden, sie wußten um das Zerwürfnis der Gräfin mit ihrem Bruder, sie spürten den nahen Fall der Gräfin, wollten ihn beschleunigen. Man beriet über die Möglichkeit einer neuerlichen Anklage bei Kaiser und Reich, über neue Beschwerden beim Herzog gegen gewisse Maßlosigkeiten der Grävenitzschen aus der letzten Zeit. Die elf Herren saßen beisammen, acht Mitglieder des engeren Ausschusses, die beiden Konsulenten, der Vorsitzende und Erste Sekretär. Sehr verschieden die einzelnen, von dem plumpen, massigen Johann Friedrich Jäger, Bürgermeister zu Brackenheim, bis zu dem feinen, eleganten, weltläufigen Konsistorialrat und Prälaten von Hirsau, Philipp Heinrich Weißensee; aber alle einig pochend auf die Rechte und Privilegien der Landschaft. Es polterte von wüsten Verwünschungen der Gräfin, mit Ruten müsse das Saumensch aus dem Land gepeitscht werden, und Johann Friedrich Bellon, Bürgermeister zu Weinsberg, haute auf den Tisch, wenn es soweit sei, werde er seine kleinen Kinder mit auf die Gassen nehmen und sie heißen, das Luder, das pockennarbige, von der Lustseuche zerfressene, ins Antlitz speien. Es dröhnten stolze Reden, wo in Europa gebe es noch ein Land mit soviel Freiheiten, nur Württemberg und England habe sich soviel parlamentarische Sicherungen erkämpft, und die Luft im Hause des Landtags war voll von Bürgerstolz, Schweiß und Demokratie. Aber es kam nur zu schwächlichen Beschlüssen, und da Eberhard Ludwig nicht zu erreichen war und die Geheimräte nur höflich verzögernde Antworten hatten, kamen auch diese Resolutionen ins Hinken und blieben nach drei Wochen vergilbende Akten.
    Auch die Herzogin Johanna Elisabetha, die in dem verödeten Stuttgarter Schloß saß und wartete, hatte von der nahen Ungnade der Gräfin gehört. Die Herren von der Landschaft gingen bei ihr ein und aus, der Kaiser sandte ihr Spezialbotschaft, der König von Preußen hatte ihr in besonders feierlicherForm aufgewartet. Wie spottete man in den Kreisen der Gräfin über diese zeremoniöse Visite des schäbigen Königs bei der verschlissenen Herzogin. Die Herzogin hörte aufmerksam auf alle Stimmen, verzeichnete sorglich jede Schwankung Eberhard Ludwigs, aber ihre Hoffnung stieg nicht hoch, und
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