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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Rast gegönnt. Schon als Kind hatte er es durchgedrückt, daß er nicht bei seinem Großvater in Frankfurt bleiben mußte, dem frommen und stillen Reb Salomon, dem Vorbeter in der Synagoge. Seine Eltern, der Vater war Direktor einer jüdischen Komödiantengesellschaft, mußten ihn auf ihre Tourneen mitnehmen. So war er schon als Sechsjähriger an den Herzogshof von Wolfenbüttel gekommen und hatte große Herren kennengelernt. Der Herzog mochte den Vater und mehr noch die Mutter, die wunderschöne Michaele Süß, gern leiden, und die Herzogin fraß ihren Narren an dem hübschen, leidenschaftlichen, altklugen, koketten Knaben. Ah, wie war er anders als das flachsblonde Phlegma der Kinder am Wolfenbüttler Hof. Von daher schon rührte seine sehnsüchtige Neigung, mit großen Herren zu verkehren. Er brauchte Abwechslung, es mußten viele, viele Gesichter an seinem Wege stehen, er hatte Durst auf Menschen, eine wütende Lust, immer mehr Gesichter in sein Leben zu stopfen, er vergaß ihrer keines. Der Tag war verloren, an dem er nicht mindestens vier neue Menschensah, er war stolz darauf, ein Dritteil aller deutschen Fürsten, die Hälfte aller großen Damen von Angesicht zu Angesicht zu kennen.
    Er war kaum mehr in der Heidelberger Schule zu halten. Dreimal in vier Jahren brannte er durch, lief den Schauspielern nach. Und als gar der Vater starb, konnten alle Bitten, Tränen, Drohungen, Verwünschungen der Mutter ihn nicht zähmen. Der hübsche Junge, von der ganzen Stadt verhätschelt, frühreif, als Wunderkind im Rechnen angestaunt, stolz auf sein prinzliches Aussehen, machte die tollsten Streiche. Die jüdischen Nachbarn schlugen die Hände zusammen, die christlichen lachten amüsiert und wohlgefällig, die Mutter, unter Flehen, Flennen, Schimpfen, ward zwischen Stolz und Empörung hin und her geworfen. Auch in Tübingen, wo er die Rechte studieren sollte, hielt es ihn nicht in den Hörsälen. Mathematik und Sprachen bewältigte er im Spiel, die Rabulisterei der Jurisprudenz, die die Professoren sich in mühsamer Theorie zusammenklaubten, stak ihm in den Fingern. Viel wichtiger war es ihm, mit den adeligen Studenten zusammenzusein, und ließen sie ihn nur eine Stunde als Kavalier und Kameraden gelten, so machte er ihnen gern dafür die ganze übrige Woche den Diener und Bajazzo. Er erkannte mehr und mehr: dies war seine Profession, große Herren zu traktieren und mit ihnen umzugehen, ihr Efeu zu sein. Wer verstand es wie er, in die Launen und Lüste der Fürsten hineinzukriechen, still zu sein zur rechten Zeit, zur rechten Zeit den Samen seines Willens in sie zu senken wie der Obstspinner seine Saat in die reifende Frucht. Und wer gar konnte sich dem Frauenzimmer anschmiegen wie er und mit weicher und sicherer Hand auch die Sprödeste herumbiegen. Es brannte in ihm: mehr Länder, mehr Menschen, mehr Frauen, mehr Pracht, mehr Geld, mehr Gesichter. Bewegung, Geschehen, Wirbel. Nicht in Wien litt es ihn, wo seine Schwester in stolzer Ehe lebte, glänzte, verschwendete, nicht in den Kontoren seiner Vettern Oppenheimer, der kaiserlichen Bankiers und Armeelieferanten, nicht in der Kanzlei des MannheimerAdvokaten Lanz, nicht in den Büros seines Bruders, des Darmstädter Kabinettsfaktors, der jetzt, Christ geworden, Baron Tauffenberger hieß. Es trieb ihn, es jagte ihn. Neue Frauen, neue Händel, neue Pracht, neue Sitten. Amsterdam, Paris, Venedig, Prag. Wirbel, Leben.
    Bei alledem schwamm er in seichtem, abgespaltenem Wasser und konnte nicht recht auf den vollen Fluß hinauskommen. Erst die Hilfe Isaak Landauers hatte ihm ernsthafte Geschäfte verschafft, die kurpfälzische Stempelsache und den Darmstädter Münzakkord, und erst der flinke Mut, mit dem er diese riskanten Affären gepackt und im rechten Moment aus der Hand gelassen, hatte seinen Namen vollwichtig gemacht. Er hätte gültige Ursache gehabt, jetzt in Wildbad die Arme zu breiten, auszuatmen.
    Aber dies war ihm nicht gegeben, Müßiggang juckte ihm die Haut, und er zettelte, nur um seine Kraft spielen zu sehen, hundert kleine Amouren, Projekte, Geschäfte an. Sein Leibdiener und Sekretär, Nicklas Pfäffle, den er dem Mannheimer Advokaten Lanz abgespannt hatte, ein dicker, gelassener, undurchdringlicher, unermüdlicher, blasser Mensch, mußte den ganzen Tag auf dem Weg sein, ihm Neuigkeiten zu schaffen, Adressen, Hantierung, Lebensläufe der Badegäste zu erkunden.
    Süß sah sehr jung aus, und er war stolz darauf, daß man ihn gemeinhin auf rund dreißig
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