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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann
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Lücke. Was ist ihnen denn? Sie blicken so fahl, diese Zehn, und kauen die Lippen. Verstohlen schielen sie nach dem Elften und schlagen die Augen nieder. Ganz offenkundig: sie fürchten sich. Verlassen fühlen sie sich, beklemmend verlassen. Der Vater ist fort, der Hundertjährige dieser Siebzigjährigen. Bis jetzt noch war er zugegen gewesen, wenn auch in Wikkelgestalt, – nun ist er vermauert, und plötzlich entsinkt ihnen das Herz. Und plötzlich ist ihnen, als sei er ihr Schirm und Schutz gewesen, nur er, und habe gestanden, wo nun nichts und niemand mehr steht, zwischen ihnen und der Vergeltung.
    Sie hielten sich murmelnd beisammen im sinkenden Abend. Der Mond zog auf, die ewigen Bilder traten hervor, bergkühle Feuchte stieg aus dem Grunde zwischen den Hütten von Jaakobs Ehrengefolge. Da riefen sie den Zwölften heran, Benjamin, das Rahelskind.
    »Benjamin«, sagten sie mit lahmen Lippen, »paß auf, es ist dies. Wir haben eine Botschaft des Versammelten an Jehosiph, deinen Bruder, und dir steht es am besten an, sie zu überbringen. Denn kurz vor seinem Tode, in seinen letzten Tagen, als jener nicht da war, befahl uns der Vater und sprach: ›Wenn ich tot bin, sollt ihr eurem Bruder Joseph sagen von mir: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so übel an dir getan haben. Denn zwischen euch und ihm will ich sein wie im Leben so auch im Tode und lege es dir als Vermächtnis auf und als letzte Weisung, daß du ihnen nichts Übles tust und dich der Rache entschlägst für alte Dinge, auch wenn ich scheinbar nicht da bin. Laß sie ihre Schafe scheren, sie aber laß ungeschoren!‹«
    »Ist das denn wahr?« fragte Benjamin. »Ich war nicht dabei, als er’s sagte.«
    »Bei nichts bist du dabei gewesen«, antworteten sie, »darum rede nicht! So ein Kleinchen muß nicht überall dabei gewesen sein. Aber verweigern wirst du’s ja nicht, deinem Bruder, Gnaden Joseph, den letzten Wunsch und Willen des Vaters zu überbringen. Gehe gleich zu ihm! Wir aber folgen dir nach und warten auf deinen Bescheid.«
    Also ging Benjamin zum Erhöhten ins Zelt und sagte verlegen:
    »Joseph-el, verzeih’ die Störung, aber die Brüder lassen dir kund tun durch mich, der Vater habe auf seinem Sterbebett dich heilig ersuchen lassen, daß du ihnen kein Leides tust für das Verjährte nach seinem Tode, denn auch danach wolle er zwischen euch sein zu ihrem Schutz und dir die Rache verwehren.«
    »Ist denn das wahr?« fragte Joseph und bekam feuchte Augen.
    »So besonders wahr ist’s wahrscheinlich nicht«, antwortete Benjamin.
    »Nein, denn er wußte, es sei nicht vonnöten«, setzte Joseph hinzu, und zwei Tränen lösten sich von seinen Wimpern.
    »Sie sind wohl hinter dir vor dem Haus?« fragte er.
    »Sie sind da«, antwortete der Kleine.
    »So wollen wir zu ihnen hinausgehen«, sagte Joseph.
    Und er trat hinaus unters Sterngeflimmer und ins Weben des Mondes: Da waren sie und fielen nieder vor ihm und sprachen:
    »Hier sind wir, Diener des Gottes deines Vaters, und sind deine Knechte. So vergib uns nun doch unsre Bosheit, wie dir dein Bruder gesagt hat, und vergilt uns nicht nach deiner Macht! Wie du uns vergeben hast zu Jaakobs Lebezeit, also vergib uns auch nach seinem Tode!«
    »Aber Brüder, ihr alten Brüder!« antwortete er und beugte sich zu ihnen mit gebreiteten Armen. »Was sagt ihr da auf! Als ob ihr euch fürchtetet, ganz so redet ihr und wollt, daß ich euch vergebe! Bin ich denn wie Gott? Drunten, heißt es, bin ich wie Pharao, und der ist zwar Gott genannt, ist aber bloß ein arm, lieb Ding. Geht ihr mich um Vergebung an, so scheint’s, daß ihr die ganze Geschichte nicht recht verstanden habt, in der wir sind. Ich schelte euch nicht darum. Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein, ohne sie zu verstehen. Vielleicht soll es so sein und es war sträflich, daß ich immer viel zu gut wußte, was da gespielt wurde. Habt ihr nicht gehört aus des Vaters Mund, als er mir meinen Segen gab, daß es mit mir nur ein Spiel gewesen sei und ein Anklang? Und hat er wohl gedacht, in seinen Bescheiden an euch, des Argen, das sich einst abgespielt zwischen euch und mir? Nein, sondern er schwieg davon, denn er war auch im Spiel, dem Spiele Gottes. Unter seinem Schutz mußt’ ich euch zum Bösen reizen in schreiender Unreife, und Gott hat’s freilich zum Guten gefügt, daß ich viel Volks ernährte und so noch etwas zur Reife kam. Aber wenn es um Verzeihung geht unter uns Menschen, so bin ich’s, der euch
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