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Joschka, die siebte Kavallerie

Joschka, die siebte Kavallerie

Titel: Joschka, die siebte Kavallerie
Autoren: Joachim Masannek
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Richtung Flur, da sah ich den pelzigen Kopf hinter dem Türstock verschwinden. Katastouristischer Donnerblitzschock! Den pelzigen Kopf mit den riesigen Zähnen!
    Mein Herz erstarrte zu Stein und ich steckte bis zum Hals in der glibberigen Qualle. Der Qualle, die mir gerade noch auf der Brust gehockt war. Der Qualle aus purer, verzweifelter Angst. Doch die konnte mich mal! Ich erinnerte mich nämlich nicht nur an die riesigen Zähne. Ich erinnerte mich auch an den Sack. Den braunen Sack auf dem Rücken des Monsters. Noch war er leer, doch jetzt fielen mir die Schuppen und Tomaten gleich tonnenweise von den Augen herab: Nicht Juli, mein Bruder, war der erbärmliche Dieb. Nein, das Monster wollte mir meine Geschenke stibitzen. Ja, ganz genau! Und deshalb verschwand es jetzt in der Küche. Verflixt! Und in der Küche, da stand nicht nur meine Geburtstagstorte auf dem Tisch.
    „Das sind meine Geschenke!“, schrie ich und wühlte und strampelte mich aus der Qualle heraus. „Ich warne dich, Monster! Fass sie nicht an!“
    Ich war so wütend, dass ich alle Vorsicht vergaß. Ich rannte hinaus in den Flur. Ich stieß die Küchentür auf und fauchte wie ein bengalischer Tiger: „Ich warne dich, hörst du! Ich stopfe dich aus!“
    Doch diese Drohung war die dümmste Idee meines Lebens. Die dümmste und sehr wahrscheinlich die letzte. Beim tyranno-touristischen Monster-Rex! Ich war kein bengalischer Tiger und das Untier stand mir direkt gegenüber. Es hockte vor mir auf dem Tisch. Neben der Torte. Und jetzt hob es langsam den Kopf. Langsam und böse. Ein Blick aus seinem einzigen Auge – und ich war hypnotisiert. Hilflos. Gelähmt! Ich starrte nur noch auf die riesigen Zähne. Sie wurden von einem grässlichen Grinsen entblößt.

    Dann duckte sich das Monster zum Sprung. Mit den Fußballschuhen stieß es sich von der Tischplatte ab. Die Arme schossen aus dem kreisrunden pelzigen Körper hervor. Das Maul ver-wandelte sich in das einer Kreuzung aus Haifisch und Anakonda und während ich mich mit dem letzten Mut der Verzweiflung flach auf den Boden warf, brüllte das Monster: „Herzlichen Glückwunsch, Joschka! Ich hab dich zum Fressen gern!“
    Ich schlug meine Arme über den Kopf. Ich presste mein Gesicht auf die Fliesen und im selben Moment sprang die Uhr über der Tür auf sieben vor sieben. Verflixt, war das ungerecht! Ich war jetzt sieben Jahre alt. Doch was nutzte mir das? Gleich würde das Monster mich fressen. Das war so sicher wie der Obststand auf der Straße vor Rabans Haus. Das sage ich euch! Und deshalb begann das Monster vor Freude zu singen. Es sang und tanzte auf dem Küchentisch herum:
    „Hoch sollst du leben!
    An der Decke kleben!
    Runterfallen!
    Po verknallen!
    Lustig ist das Leben!“
    Ich holte tief Luft. Hatte ich richtig gehört? Wollte mir das Monster tatsächlich nur gratulieren? Oder erlaubte es sich einen weiteren Spaß? Auf jeden Fall ließ es sich Zeit. Es wollte den Augenblick, bevor es mich auffraß, so richtig genießen. Und ich hatte überhaupt nichts mehr zu verlieren. Ich klaubte die letzten Reste meines Mutes auf dem Küchenfußboden zusammen. Ich presste und knetete sie zu einem Klumpen, der groß genug war, um mich ein letztes Mal in Joschka, die siebte Kavallerie, zu verwandeln, und dann zog ich mich an der Tischplatte hoch.
    Langsam schob ich den Kopf über die Kante. Die brennenden Kerzen auf meiner Geburtstagstorte blendeten mich. Aber nur einen halben Atemzug lang. Dann sah ich das pelzige Tier. Es hockte auf der anderen Seite des Tisches und grinste mich an. Sein einziges Auge blitzte immer noch wild und gefährlich und seine Zähne waren immer noch spitz. Doch es wirkte gar nicht mehr böse. Es sah eher aus wie ein Wilder Kerl . Ja, ich mein’ unser Logo. Ihr wisst schon, den Monsterkopf, den Marlon vor dem Spiel gegen die Bayern entworfen hat und der seitdem unsere Trikots und Fahnen schmückt. Genau dieser Kopf saß jetzt leibhaftig vor mir: mit haarigen Armen und Beinen und Füßen, die in richtigen Fußballschuhen steckten. Ich wollte es einfach nicht glauben. So was gab es doch nicht. Oder hatte ich zu viele Gruselbücher gelesen? Da öffnete der Wilde Kerl seinen Mund.
    „Hallo, Joschka! Da bist du ja endlich. Wir haben schon gedacht, dass du dich überhaupt nicht mehr traust“, lachte er mich zweistimmig an.
    Ja, zweistimmig, im Chor! Doch bevor ich mich darüber wundern konnte, streckten mein Bruder und meine Mutter ihre Köpfe hinter dem Wilden Kerl über den Tisch.
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