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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna
Autoren: Wo die Erde bebt
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herauszufordern.»
    «Dann lass dir von deiner Freundin helfen, Lily. Ist sie nicht Krankenschwester? Warum bittest du sie nicht, bei dir vorbeizuschauen?»
    Ich starrte sie an.
    «Lucy, was ist los? Was ist passiert?»
    Ich wollte, dass Natsuko es erfuhr, aber ich wollte, dass sie es erfuhr, ohne dass ich es ihr sagte, denn ich hätte es nicht ertragen, mich die Geschichte erzählen zu hören. Auf Gedankenübertragung verstand ich mich nicht, also schüttelte ich den Kopf.
    «Es hat etwas mit Lily zu tun. Was hat sie getan?»
    «Lass mich allein, bitte.»
    «Na schön.» Sie seufzte verständnisvoll. Ihre Stimme klang heute irisch. Ich weiß nicht, welche Jahre oder Monate ihres Lebens sie in Irland verbracht hatte, aber dieser Akzent trat nur gelegentlich zum Vorschein. «Du fehlst mir im Büro. Ich werde jeden Tag anrufen, bis ich sicher bin, dass es dir wieder gut geht. Ach, ich hab dir diese Blumen mitgebracht. Ich hab sie im Geschäft gesehen und fand, sie hätten eine so unglaubliche Farbe, dass sie dich ganz bestimmt aufheitern würden. Ich hoffe, sie wirken.»
    Ich nickte. «Danke. Ich auch.»
    Sie ging, und ich wusste nicht weiter. Schlafen wollte ich nicht, aber um wieder loszulaufen, fehlte mir die Kraft. Die Blumen sahen sonnig und freundlich aus. Ich beschloss, sie ins Wasser zu stellen. Ich hatte keine Vase, weil ich noch nie auf die Idee gekommen war, mir Schnittblumen zu kaufen, und noch nie einen Blumenstrauß geschenkt bekommen hatte. Ich stellte sie in einen Eimer. Das sah nicht gut aus. Ich fand eine alte Plastikflasche, schnitt ihr den Hals ab und füllte sie mit Wasser. Das war besser als der Eimer, aber der Mohn sah irgendwie nicht mehr so schön aus wie vorhin, als Natsuko ihn im Arm gehalten hatte. Ich holte in der Küche ein altes Stück schwarzes Einwickelpapier aus dem Mülleimer und klebte es um die Flasche. So gab sie eine ideale Vase für die Blumen ab, aber da alle meine Vorhänge zugezogen waren - ich hatte sie seit vier Tagen nicht geöffnet —, wirkte das Zimmer jetzt schäbig. Ich öffnete die Vorhänge und dann die Fenster. Sonnenlicht flutete herein, ebenso gelb wie der Mohn.
    Ich rieb mir die Füße mit Creme ein, bis sie nicht mehr wehtaten. Dann war ich nicht mehr zu halten. Ich ging auf den Balkon, füllte die Waschmaschine mit miefiger Schmutzwäsche und schaltete sie ein. Ich schrubbte den Spülsaum in der Badewanne weg und warf die drei leeren Klorollen fort, die seit Wochen feucht und matschig auf dem Fußboden herumgelegen hatten. Ich sprayte den Spiegel ein und wischte Staub und Zahnpastaspritzer weg, bis er blitzte. Meinem Spiegelbild ins Gesicht zu sehen, war ich noch nicht bereit, aber ich näherte mich diesem Augenblick. In der Küche spülte ich Tassen und Teller, schrappte grauen Schimmelgrind in den Mülleimer. Ich fegte auf Händen und Knien den dickwolligen Staub zusammen, der hinter Bücherregalen und in den Zimmerecken lag. Ich wischte die TV-Fernbedienung Knopf für Knopf sauber. Ich rückte mit Putzmittel und Tuch einem Fleck zu Leibe, der seit Monaten auf dem Bildschirm geprangt hatte. Ich hatte ihn bis dahin nicht behelligt, weil er wie ein Spritzer von Teijis Samen aussah und somit kostbar war, auch wenn ich mir nicht denken konnte, wie er an den Fernseher gekommen sein sollte. Wahrscheinlich war es verschüttetes Essen.
    Die Waschmaschine piepste. Ich holte die feuchten Sachen heraus und hängte sie auf die Leine. Ich schleppte die Futons aus ihrem Schrank nach draußen und schwang sie zum Lüften über das Geländer. Ich prügelte mit meinem rosa Plastikfu-tonklopfer auf sie ein und sah, wie der Staub in Wölkchen aufstieg und dann verschwand. Ich saugte die ganze Wohnung. Zuletzt, als mir beim besten Willen nichts mehr einfiel, saugte ich den Balkon.
    Ich trank Tee und hörte mir Dvorak an. Ich ging zum Gemüsehändler und kaufte mir blanke rote Äpfel, um sie zusammen mit meinem gelben Mohn auf den Tisch zu stellen. Ich rollte mich auf dem Fußboden zusammen und schlief, tiefer und ruhiger, als ich seit Tagen geschlafen hatte.
    Und am frühen Abend trat eine kühle Brise durch die Balkontür ein, durchquerte meine Wohnung und verließ sie wieder durch das Fenster, das nach hinten geht. Sie weckte mich sanft, und ich setzte mich auf. Langsam, noch nicht völlig wach, ging ich nach draußen und begann, die Wäsche abzuhängen.
    Wieder läutete die Türglocke. Lily und Natsuko hatte ich heute schon gehabt - konnte das jetzt Teiji sein? Ich glaubte es
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