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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna
Autoren: Wo die Erde bebt
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wir.»
    Für Lily war das die richtige Antwort. Wäre es meine Entscheidung gewesen, hätte ich die Wohnung genommen. Lucy könnte sich durchaus vorstellen, nachts auf ihrem Balkon zu hocken und, hinter einem trocknenden Handtuch versteckt, in das Leben ihrer Nachbarn zu lugen. Von den Fenstern meiner Wohnung aus geht das nicht. Die Tankstelle unter meinem Balkon versorgt mich mit ganztägiger Unterhaltung, aber nachts ist nicht so viel los. Es hätte mir gefallen, in eine Küche oder ein Wohnzimmer sehen zu können.
    Zuletzt entschied sich Lily für eine Wohnung mit großen breiten Fenstern und einem kleinen Park davor. Ihr einziger Nachteil war, dass das Haus alt war und somit weniger erdbebensicher.
    «Bob hat gesagt, es hätte seit Ewigkeiten keine richtigen Erdstöße mehr gegeben», sagte Lily.
    «Aber genau deswegen muss man sich ja Sorgen machen. Von Zeit zu Zeit ein kleiner Rüttler bedeutet, dass alles in Ordnung ist. Wenn lange nichts passiert, dann weiß man, dass der große Knall bevorstehen könnte.»
    «Das wusste ich nicht.»
    Wir gingen zum Makler, und ich half Lily, die Formalitäten zu erledigen. Ich war müde und wollte eigentlich nach Haus, aber Lily war fest entschlossen, sich erkenntlich zu zeigen.
    «Wenigstens ein Tässchen Tee müssen Sie sich von mir spendieren lassen. Kommen Sie schon.»
    Ich hatte keine Lust auf ihre weitere Gesellschaft. Ich hatte nichts gegen sie, aber ich betrachtete sie als eine Abgesandte der Stätte meiner Kindheit. Ich konnte sie nicht mögen. Blieben wir noch länger zusammen, würde sie mit Sicherheit wieder anfangen, über Yorkshire und seine gottverlassenen Schönheiten und Annehmlichkeiten zu reden.
    «Ich bin wirklich müde. Gehen Sie nur. Eins der schönen Dinge an Japan ist, dass man sich völlig bedenkenlos allein in ein Café oder Restaurant setzen kann. Niemand wird Sie belästigen oder anstarren.»
    «Ich kann mir nicht mal eine Tasse Kaffee bestellen. Ich kann nicht ein Wort Japanisch. Wollen Sie wirklich nicht mitkommen?»
    Ihr Blick flackerte plötzlich vor Angst.
    «Dann gehe ich eben mit. Nur um Ihnen zu zeigen, wie man in einem Café bestellt.»
    Wir fanden einen kleinen, gnadenlos klimatisierten Coffee-shop. Lily setzte sich und stellte ihre Handtasche neben sich auf den Fußboden. Es war ein erfrischender Anblick. Ich hatte ganz vergessen, dass die Leute in Großbritannien ihre Taschen auf den Boden stellen. In Japan gilt der Fußboden als zu schmutzig. Ich habe selten eine Handtasche bei mir. Was ich brauche, stopfe ich mir am liebsten in die Taschen, deswegen ergibt sich das Problem für mich nicht. Eine Handtasche ist ein Aspekt einer Weiblichkeit, die anzustreben ich nach meinem Empfinden nie ein Recht gehabt habe. Trotzdem gefiel es mir, Lily ihre Tasche auf den Boden stellen zu sehen.
    Als die Kellnerin kam, flüsterte Lily mir zu, dass sie einen Kaffee wollte. Ich sagte der Kellnerin, wir hätten noch nicht gewählt.
    «Lily, Sie müssen lernen, selbst zu bestellen. Es nützt nichts, mich anzusehen. Wie wollen Sie essen und trinken, wenn Sie nicht sagen können, was Sie wollen?»
    «Aber ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll. Wie kann ich Japanisch reden? Ich weiß kein einziges Wort.»
    Ihre Wehleidigkeit ging mir auf die Nerven, aber gleichzeitig verspürte ich einen schwesterlichen Beschützerinstinkt. Sie war hilflos.
    «Das glaube ich nicht. Es gibt ein paar japanische Wörter, die jeder kennt. Wie steht's mit Shogun?»
    «Ach so, okay. Ja, das hab ich schon mal gehört. Aber ich weiß nicht, was das ist. Origami. Das kenne ich. Oder ist das Chinesisch? Nein, es ist Japanisch, nicht? Oder? Ich weiß nicht.»
    «Es ist Japanisch. Kamikaze?»
    «Ja. Diese Piloten im Krieg. Ähm. Sumo. Karaoke. Futon.»
    «Na bitte. Sie kennen doch ein paar.»
    «Karate. Nudel.»
    «Das ist kein Japanisch. Es gibt einen Haufen Wörter für Nudeln. Die bringe ich Ihnen bei Gelegenheit bei. Ich möchte Tee, und Sie möchten Kaffee, stimmt's?»
    «Stimmt.»
    «Also, Tee ist kocha, und Kaffee ist kohi.»
    «Kocha. Kohi», wiederholte sie mit einem lang gezogenen Yorkshire-O.
    «Ja. So, wenn Sie sagen wollen, setzen Sie hitotsu hinzu.»
    «Hitotsu kocha -»
    «Nein. Kocha o hitotsu. Kohi o hitotsu.»
    «Es läuft also rückwärts. Und was ist das O?»
    «Das ist nur eine Partikel. Es bedeutet eigentlich nichts.»
    «Warum muss ich es dann sagen?»
    «Man tut's eben.» Zur Lehrerin bin ich wirklich nicht geschaffen. «Fertig?»
    «Nein, Moment.
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